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Urteil: Auflagen für Versammlung von rechtswidrig

Gebete von Abtreibungsgegnern vor der Haustür sind Pro Familia schon lange ein Dorn im Auge. In Pforzheim wurden sie per Auflage der Stadt auf Distanz gehalten - zu Recht wie das Verwaltungsgericht Karlsruhe zunächst befand. Die zweite Instanz sieht das anders.

Justitia
Eine Statue der Justitia steht mit Waage und Schwert in der Hand. Foto: Arne Dedert
Eine Statue der Justitia steht mit Waage und Schwert in der Hand.
Foto: Arne Dedert

Die Auflagen der Stadt Pforzheim für eine Versammlung von Abtreibungsgegnern vor einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle waren nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) rechtswidrig. Damit kassierten die obersten Verwaltungsrichter ein Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe von Mai 2021 ein. Die beklagte Stadt Pforzheim hatte eine Verfügung erlassen, wonach die Versammlungen während der Beratungszeiten von Pro Familia nur außerhalb direkter Sicht zum Gebäudeeingang durchgeführt werden durfte. Geplant war damals von den Abtreibungsgegnern ein stilles Gebet und Mahnwache an 40 aufeinander folgenden Tagen. Die Gruppe hatte ihre Religions- und Versammlungsfreiheit ins Feld geführt. Der Oberbürgermesse von Pforzheim, Peter Boch (CDU), sprach von einem »harten Schlag für alle Frauen, die Hilfe bei einer Schwangerschaftsberatungsstelle suchen«.

Der Rathauschef und Pro Familia verwiesen auf den Koalitionsvertrag der Ampel, nachdem sogenannte Gehwegsbelästigungen untersagt werden sollen. Die Gemeinden dürften mit der heiklen Frage nicht allein gelassen werden, betonte Pro Familia. Boch forderte ein Gesetz, das den Kommunen ermögliche, derartige Versammlungen vor Beratungsstellen zu verhindern, um so die Rechte der betroffenen Frauen schützen.

Geklagt hatte die Leiterin der 40-Tage-für-das-Leben Gruppe in Pforzheim gegen den »Platzverweis«. Man sei auf Wunsch von Pro Familia bereits von einem Platz vor dem Gebäude auf die andere Seite einer vierspurigen Straße gewechselt. Dennoch habe die Organisation verlangt, dass die Versammlung außer Hör- und Sichtweite stattfinden soll. Die Stadt habe daraufhin eine Auflage erlassen, mit der die Beter an einen weiter entfernten Platz verwiesen wurden.

Nach dem am Mittwoch in Mannheim veröffentlichten Urteil wäre eine Auflage der Stadt möglich gewesen, wenn die Versammlung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet hätte. Dies sei hier nicht der Fall gewesen.

Zwar könne das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Frauen, die eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle aufsuchten, durch eine Versammlung von Abtreibungsgegnern betroffen sein. Jedoch führe nicht jeder Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frauen zugleich zu einer Verletzung desselben, so der VGH. Vielmehr könnten hier Versammlungs-, Meinungs-, und Religionsfreiheit solche Eingriffe rechtfertigen.

Die beklagte Stadt habe nicht hinreichend dargelegt, dass es bei der Versammlung zu unangenehmen Situationen wie als vorwurfsvoll empfundene Blicke und Parolen beim Eintritt ins Gebäude hätte kommen können. Eine Versammlung sei so lange zulässig, wie sie den die Beratungsstelle aufsuchenden Frauen nicht die eigene Meinung aufdränge. Zu einem physischen oder psychischen Spießrutenlauf dürfe es für sie nicht kommen.

Dem widersprach Pro Familia. Frauen und Familien, die ratsuchend zu dem Verein kommen, fühlten sich von den Abtreibungsgegnern bedrängt. Von den 3000 Klienten pro Jahr seien 2021 nur rund 440 Frauen in der Konfliktberatung gewesen, die für Schwangere verpflichtend sei, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch erwägen. Nicht nur sie, sondern auch die Familien mit Fragen zur Jugendhilfe würden durch das Auftreten der Gruppe mit Plakaten von Föten, Gebeten und Gesängen verunsichert und eingeschüchtert, sagte die Leiterin von Pro Familia Pforzheim, Edith Münch. »Dabei spielt es keine Rolle, ob das vor dem Gebäude oder an der nächsten Straßenecke passiert«, betonte Münch und fügte hinzu: »Das hat der VGH zu wenig gewürdigt«. Im Jahr 2018 seien 5 bis 15 Mitglieder der Gruppe vor dem Gebäude und auf der anderen Straßenseite aufgetreten.

Die Revision wurde nicht zugelassen. Gegen deren Nichtzulassung kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils Beschwerde vorm Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt werden. Oberbürgermeister Boch will erst die Urteilsgründe eingehend prüfen und dann über weitere rechtliche Schritte entscheiden.

PM

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