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Tübinger Expertin: Merkmal bei Kindstötung kann verdrängte Schwangerschaft sein

Warum verdrängen manche Mütter ihre Schwangerschaft? Nach Auskunft von Therapeuten ist das ein Zeichen von Überforderung und von der Unfähigkeit, Konflikte auszutragen.

Eine schwangere Frau hält ihren Bauch in den Händen.
Eine schwangere Frau hält ihren Bauch in den Händen. Foto: Gea
Eine schwangere Frau hält ihren Bauch in den Händen.
Foto: Gea

TÜBINGEN. Wenn Frauen eine Schwangerschaft verdrängen und ihre Säuglinge nach der Geburt töten, gibt es nach Ansicht einer Psychotherapeutin immer Konflikte im Leben der Betroffenen. »Entweder ist die Ehe am Zerbrechen oder sie sind mit ihrer Lebenssituation aus einem anderen Grund maximal überfordert«, sagte Johanna Graf von der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsklinik in Tübingen.

Studien hätten gezeigt, dass die Verdrängung und Verheimlichung der Schwangerschaft ein Hintergrund solcher Taten sein könne. »Solche Fälle sind aber sehr selten«, sagt die Psychotherapeutin, die an der Uniklinik eine psychogynäkologische Sprechstunde in Kooperation mit der Frauenklinik aufgebaut hat.

In Tübingen steht derzeit eine 48-Jährige vor Gericht, die ihr Baby nach der Geburt fest an sich gedrückt und so erstickt haben soll. Der Vater entdeckte die Babyleiche in einer Tiefkühltruhe, die Frau war zu dem Zeitpunkt bereits aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen.

Fälle nicht seperat ausgewiesen

Aktuelle Zahlen zu ähnlichen Fällen gibt nach Auskunft des Kriminologischen Instituts in Tübingen nicht. Auch in der Polizeilichen Kriminalstatistik des Innenministeriums in Stuttgart würden solche Fälle nicht separat ausgewiesen, sagte ein Behördensprecher.

Aus kriminalistischer Sicht gilt der sogenannte Neonatizid, die Tötung eines Neugeborenen, als Sonderfall. Gesicherte Zahlen für Deutschland gibt es dazu nicht, das Deutsche Jugendinstitut in München geht in einer Studie von mindestens 20 bis 35 Fällen pro Jahr aus.

Die Daten aus einer Studie zu Kindstötungen zeigen, dass solche Taten in Deutschland von Frauen jeden Alters und keineswegs nur von Erstgebärenden begangen werden. Die Täterinnen wiesen weder in ihrer sozioökonomischen Lage noch bezogen auf ihre Persönlichkeit besonders auffällige Merkmale auf. »Einfacher ausgedrückt: Die allermeisten Frauen, die Neonatizide begangen haben, sind mit der Ausnahme dieser Tat - ganz normale Frauen.«

Meist handelt es sich laut Graf um Frauen, die Konflikten aus dem Weg gehen. »Präventive Maßnahmen wie beispielsweise die Inanspruchnahme einer Babyklappe oder einer anonymen Geburt greifen bei diesen Frauen nicht«, sagt Graf. Die Verdrängung sei ein psychologischer Abwehrmechanismus. »Solche Frauen wollen die Schwangerschaft nicht wahrnehmen. Sie sind nicht in der Lage nach Lösungen zu suchen und handeln deswegen nicht planvoll oder präventiv.«

Großes Dunkelfeld

Viele Fälle blieben unentdeckt. Hilfe sei im Vorfeld enorm wichtig. Die psychogynäkologische Sprechstunde behandelt Frauen, die aufgrund der Schwangerschaft in Konflikte geraten. So könnten eine verdrängte Schwangerschaft und deren mögliche Folgen vermieden werden.

In Baden-Württemberg gibt es nach Auskunft des Sozialministeriums acht Babyklappen. Die erste wurde 2001 in Karlsruhe eröffnet. In den Klappen befindet sich ein Wärmebettchen, in das der Säugling gelegt werden kann. Dann wird nach ein bis zwei Minuten ein interner Alarm ausgelöst, damit das Kind schnell herausgenommen und versorgt werden kann. (dpa)