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Tübinger Catcalling-Aktivisten: Klare Gesetze erwünscht

Ob im Bus, auf dem Weg zur Party oder in der Mittagspause: Unter Catcalling versteht man die sexuelle Belästigung ohne Körperkontakt. Aktivisten wollen, dass solche Übergriffe endlich strafbar werden. Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) weckte nun erneut die Hoffnung auf eine Anpassung des Gesetzes.

Eine Aktivistin malt mit Kreide ein Katzensymbol neben einen anzüglichen Kommentar aufs Straßenpflaster. Mit diesen Aktionen mac
Eine Aktivistin malt mit Kreide ein Katzensymbol neben einen anzüglichen Kommentar aufs Straßenpflaster. Mit diesen Aktionen machen die Vereine auf verbale Belästigungen aufmerksam. In Reutlingen übernehmen die Ehrenamtlichen der »CatcallsOfReutlingen«, in Tübingen die »CatcallsOfTübingen«. Foto: Andreas /dpa
Eine Aktivistin malt mit Kreide ein Katzensymbol neben einen anzüglichen Kommentar aufs Straßenpflaster. Mit diesen Aktionen machen die Vereine auf verbale Belästigungen aufmerksam. In Reutlingen übernehmen die Ehrenamtlichen der »CatcallsOfReutlingen«, in Tübingen die »CatcallsOfTübingen«.
Foto: Andreas /dpa

REUTLINGEN. »Meine Kollegin und ich hatten Feierabend und haben beschlossen einen Ausflug nach Tübingen auf den Schokomarkt zu machen. Als wir einige Stunden dort verbracht haben und wieder zurück zum Parkplatz gelaufen sind, kam uns in einer Seitengasse ein Mann, geschätzt um die 65 Jahre alt, entgegen. Er rief in unsere Richtung: 'Da ist sie ja, meine große, blonde Bohnenstange. Ich steh’ auf große, blonde Frauen. Und wenn sie dann noch Schuhgröße 37 hat, dann hab ich direkt Lust sie zu ...' Wir waren zu diesem Zeitpunkt die einzigen in dieser Straße. Ich habe ihm dann mit einer unschönen, aber wohl angebrachten Wortwahl gesagt, was ich davon halte. Wäre ich aber allein gewesen, hätte ich wahrscheinlich nur ein 'Halt’s Maul' über die Lippen gebracht«.

Solche und ähnliche Geschichten erreichen die eingetragenen und ehrenamtlichen Catcall-Vereine nicht nur in Tübingen, sondern bundesweit. »Hey, Süße« oder »geiler Arsch« sind nur zwei Sprüche, die alltäglichen Erfahrungen vieler Frauen entsprechen. Auch ein aufdringlicher Blick oder ein Pfiff gehören zu den verbalen Übergriffen, die man als »Catcalling« bezeichnet, erklärt Caroline Spetzger. Die 24 Jahre alte Studentin hat sich 2021 dem Verein »Catcalls of Tübingen« angeschlossen. In dessen Namen zieht sie regelmäßig los und pinselt mit Kreide verschiedenste Catcalling-Erfahrungen auf die Straßen der Universitätsstadt. Diese bekommen die Aktivisten via Direktnachricht von Betroffenen zugesandt.

Caroline Spetzger engagiert sich neben ihrem Masterstudium bei den »CatcallsOfTübingen«. Sie hält es für längst überfällig, Catc
Caroline Spetzger engagiert sich neben ihrem Masterstudium bei den »CatcallsOfTübingen«. Sie hält es für längst überfällig, Catcalling strafbar zu machen. Foto: Privat
Caroline Spetzger engagiert sich neben ihrem Masterstudium bei den »CatcallsOfTübingen«. Sie hält es für längst überfällig, Catcalling strafbar zu machen.
Foto: Privat

»Wir versuchen mit allen Mitteln Aufmerksamkeit auf diese Thematik zu lenken«, sagt Spetzger. »Wir machen das anonym, bekommen aber trotzdem viel positives Feedback«. Das würde sich die Englisch-Masterstudentin auch vom Gesetzesgeber wünschen. Seit etlichen Jahren setzen Aktivisten alles daran, eine Gesetzesanpassung zu erwirken. Denn derzeit ist Catcalling als solches in Deutschland nicht strafbar.

Spetzger sieht die Grenzen zwischen einem nett gemeinten Kompliment und Belästigung dabei ganz klar: »Natürlich kann man jemanden ansprechen, den man gut findet – das ist nicht das Problem. Catcalling beginnt, wo Respekt fehlt und vor allem ein Nein nicht akzeptiert wird. Wenn Kommentare oder Annäherungen belästigend oder sexualisiert sind, wenn sich jemand nicht mehr wohlfühlt.«

Je nach Situation kann Catcalling höchstens als Beleidigung, Nötigung oder sexuelle Belästigung strafrechtlich verfolgt werden. Doch wie konsequent solche Fälle geahndet werden, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. »Und wenn ich mich wehre, und aus der Wut zurück brülle oder den Mittelfinger zeige, kann ich auf alle Fälle belangt werden«, äußert Spetzger ihr Unverständnis gegenüber der aktuellen Handhabung.

»Nicht alle Männer sind Catcaller, aber fast alle Catcaller Männer«

»Mir ist bewusst, dass Gesetze anpassen, schwer und kompliziert sein kann. Gerade, weil meist die Betroffenen Catcalling für sich definieren. Aber es ist ja nicht so, als würden Gesetzesänderungen nicht regelmäßig auch in anderen Bereichen passieren«, kritisiert die Studentin. Ihrer Meinung nach sollte ein entsprechender Zusatzabsatz in den bereits bestehenden Paragrafen (StGB 184i Sexuelle Belästigung) eingepflegt werden Dieser stellt sexuelle Belästigung dann unter Strafe, wenn sie mit einer körperlichen Berührung verbunden ist. Rein verbale Übergriffe sind nicht erfasst. »Das vermittelt, dass das eine weniger schlimm ist als das andere«, sagt Spetzger. »Und das ist nicht so«.

Wenn es um Täterprofile geht, ist sich Spetzger sicher: Der Spruch »Not all men, but always men« (»Nicht alle Männer, aber immer Männer«) habe seine Berechtigung. Sie sagt: »Das kann ich so unterschreiben. 97 Prozent der Täter sind Männer. Nicht alle Männer sind Catcaller, aber fast alle Catcaller Männer«. Alter und Nationalität variieren.

Angekreidet auf einer Straße in Tübingen steht die Erfahrung einer unbekannten Frau, die sich an den Verein »CatcallsofTübingen«
Angekreidet auf einer Straße in Tübingen steht die Erfahrung einer unbekannten Frau, die sich an den Verein »CatcallsofTübingen« gewandt hat: »Er sagte: Ein Nein ist nicht immer ein Nein. Das macht es aufregend. Ihr Feministinnen versteht das einfach nicht«. Foto: Instagram/CatcallsOfTübingen
Angekreidet auf einer Straße in Tübingen steht die Erfahrung einer unbekannten Frau, die sich an den Verein »CatcallsofTübingen« gewandt hat: »Er sagte: Ein Nein ist nicht immer ein Nein. Das macht es aufregend. Ihr Feministinnen versteht das einfach nicht«.
Foto: Instagram/CatcallsOfTübingen

Zuletzt waren im Juni 2022 und im März 2025 zwei Anläufe zur Verschärfung des Strafrechts gescheitert. Auf GEA-Nachfrage skizziert das Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg die Historie folgendermaßen: Im Herbst 2020 sei die Bund-Länder-Arbeitsgruppe »Gewalt gegen Mädchen und Frauen wirksam begegnen« gegründet worden, um einen etwaigen gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu ermitteln. Ihr Abschlussbericht vom Juni 2022 sah einen solchen allerdings nicht.

Anfang 2025 brachte Niedersachsen dann einen Gesetzentwurf für verbale und nonverbale sexuelle Belästigung in den Bundesrat ein. Baden-Württemberg unterstützte ihn, doch der Entwurf wurde letztlich nicht weitergeleitet. Warum? Der Bundesrat forderte die Regierung auf, »einen rechtssicheren und praktikablen Vorschlag vorzulegen, um Betroffene auch vor nicht körperlicher sexueller Belästigung zu schützen.« Kurz gesagt: Die Sorge um Rechtsunsicherheiten bei der Strafverfolgung überwog.

»Wenn wir nicht anfangen, werden wir niemals fertig«

Vereine, Opfer und Befürworter dürfen nun erneut hoffen: Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) gab in einem Interview mit der »Rheinpfalz« jüngst an, einen neuen Straftatbestand für verbale sexuelle Belästigung zu prüfen – dies sei entsprechend im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Sie betonte, dass solche verbalen Grenzüberschreitungen in der konkreten Situation meist sehr klar erkennbar seien und auch von den Tätern als solche wahrgenommen würden. Zwar gebe es »natürlich Graubereiche«, die könnten allerdings in die Gestaltung des Gesetzes einbezogen werden. »Unser Rechtsstaat ist gut darin, mit solchen Graubereichen umzugehen – und es nicht zu übertreiben«, so Hubig.

Für die Catcalling-Aktivisten, in Tübingen vier an der Zahl, dürfte das zumindest aus der Theorie ein kleiner Erfolg sein. Doch Spetzger ist sich fast sicher, dass das wieder einmal »nur leere Worte« sind. »Ich glaube, das wird nichts. Wir haben da ein Problem namens Merz«, ergänzt sie. Außerdem habe sie bei einer Debatte des SWR mit zwei Politikerinnen gesprochen, eine von den Grünen, eine von der SPD, »die meinten ebenfalls, dass das sowieso nichts wird«.

Der Begriff »Catcalling«

»Catcalling« kommt aus dem Englischen und lässt sich wörtlich als »Katzenrufen« übersetzen. Historisch gesehen soll der Ausdruck auf die Theaterkultur des 19. Jahrhunderts in den USA und Großbritannien zurückgehen: Zuschauer pfiffen oder riefen während einer Aufführung, um Missfallen oder Spott zu äußern – oft habe das »wie eine Katze« geklungen. Im Laufe der Zeit wurde der Begriff auf das anzügliche, belästigende Rufen und Kommentieren von Frauen im öffentlichen Raum übertragen. In Frankreich, Belgien, Portugal und der Schweiz gilt verbale sexuelle Belästigung bereits als Straftat. (kim)

Zwei Ziele haben die Catcalling-Vereine in Deutschland jedoch bereits erreicht: Die Gesellschaft sensibilisieren und Druck entstehen lassen. Spetzger erhofft sich letztlich nur einen Startschuss. Schließlich sei die Optimierung eines entsprechenden Gesetztes jederzeit noch möglich. »Aber wenn wir nicht anfangen, werden wir niemals fertig«. (GEA)