Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann versucht, in der Affäre um die Weitergabe eines Anwaltsschreibens Druck von seinem Innenminister Thomas Strobl zu nehmen. Der Grüne sagte am Dienstag in Stuttgart, der CDU-Politiker genieße trotz der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sein »volles Vertrauen«. Die Erklärung des Ministers, warum er das Schreiben weitergeleitet hat, sei »plausibel« und »glaubwürdig«.
Darüber hinaus wollte sich Kretschmann nicht weiter zu den laufenden Ermittlungen äußern. »Der Ball liegt da jetzt nicht in meinem Spielfeld, sondern im Feld der Justiz.« Bis das Verfahren abgeschlossen sei, bleibe alles wie bisher. Es gelte die Unschuldsvermutung. »Der Minister kann soweit seine Geschäfte vollumfänglich wahrnehmen.«
Kretschmann betonte: »Minister Strobl ist mir nicht dadurch aufgefallen, dass er eine unkorrekte Amtsführung hat.« Über die Jahre hinweg habe sich ein »solides und belastbares Vertrauensverhältnis« entwickelt. Ob das Verfahren gegen Strobl Auswirkungen auf die grün-schwarze Koalition habe, hänge von dessen Ausgang ab.
SPD-Innenexperte Sascha Binder kritisierte: »Grün-Schwarz stellt sich tot und hofft, dass alles von alleine vorbeigeht.« Kretschmann tue plötzlich so, als sei nicht er für sein Kabinett zuständig, sondern die Justiz, und flüchte sich in den Standpunkt, er habe nichts zu kommentieren.
Streit um Titel der Strobl-Debatte im Landtag
Am Mittwoch ist Strobl auch Thema im Landtag. Der Innenminister wird voraussichtlich selber bei der Debatte das Wort ergreifen. Im Vorfeld gab es Streit über den Titel. Die von der FDP beantragte Aussprache soll nun folgendermaßen heißen: »Verdacht der Veröffentlichung von Dienstgeheimnissen - Wer kann dem Dienstherrn Strobl noch trauen?« Ursprünglich sollte die Debatte nach dem Willen der FDP lauten: »Verrat von oben - wer kann dem Dienstherrn Strobl noch trauen?«. Das hatte Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) abgelehnt und erklärt, es sei lange Parlamentspraxis, dass bei solchen Debatten-Titeln »schwere persönliche Vorwürfe unzulässig sind«. Die FDP zeigte sich verärgert über die Abschwächung des Titels.
Staatsanwaltschaft ermittelt nicht wegen Geheimnisverrats
Die Anklagebehörde hatte mitgeteilt, sie ermittele gegen einen Journalisten und den Minister wegen des Verdachts verbotener Mitteilung über Gerichtsverhandlungen. Der Reporter wird verdächtigt, aus amtlichen Dokumenten eines laufenden Verfahrens zitiert zu haben. Strobl wiederum soll ihn dazu angestiftet haben. Im Zentrum der Affäre stehen eigentlich Ermittlungen gegen einen führenden Polizisten wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung. Strobl hatte eingeräumt, im Dezember einem Journalisten ein Schreiben des Anwalts des Polizisten weitergegeben zu haben.
Inzwischen stellte die Staatsanwaltschaft klar, dass sie nicht wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen ermitteln wird. Die Opposition aus SPD und FDP hatte das Staatsministerium aufgefordert, anstelle des Innenministeriums die Anklagebehörde für solche Ermittlungen zu ermächtigen. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart erklärte nun der Deutschen Presse-Agentur: »In diesem Fall ist nach dem Gesetz für die Erteilung der Strafverfolgungsermächtigung das Innenministerium zuständig.« Kretschmann unterstrich, er habe gar keine Kompetenz dazu, Strobl dazu anzuweisen, dass dieser die Staatsanwaltschaft ermächtigt.
Das Innenministerium argumentiert, es handele sich bei dem Schreiben des Anwalts nicht um ein amtliches Schreiben und auch nicht um ein Dienstgeheimnis, deswegen habe man die Ermächtigung für Ermittlungen nicht erteilt. In dem Schreiben hatte der Anwalt des suspendierten Beamten dem Ministerium ein persönliches Gespräch angeboten, das für beide Seiten besser sei als ein juristisches Verfahren. Strobl erklärte nun, dies sei ein »vergiftetes Angebot« gewesen. Er habe für »maximale Transparenz« sorgen und verhindern wollen, dass die andere Seite das Schreiben lanciert.
Warum wird erst fünf Monate nach Erscheinen des Artikels ermittelt?
Nachdem Strobl am vergangenen Mittwoch im Innenausschuss und in einer anschließenden Pressekonferenz eingeräumt hatte, das Anwaltsschreiben einem Journalisten übermittelt zu haben, teilte die Anklagebehörde kurz danach mit, nun wegen Verdachts verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen zu ermitteln - und das, obwohl der Zeitungsartikel bereits Ende Dezember erschienen war. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft erklärte nun, durch die Aussagen des Ministers am Mittwoch hätten »sich Gesichtspunkte ergeben, die Anlass zu einer erneuten Prüfung des Sachverhalts (...) gaben« - nun aber mit einem neuen Verdacht.
Die Anklagebehörde bestätigte zudem die Angaben des Ministeriums vom Sonntag, dass man mittlerweile auch gegen einen Mitarbeiter des Innenministeriums ermittele, »der auf Veranlassung des Herrn Innenministers das Anwaltsschreiben an den Journalisten übersandt haben soll«. Es gehe hier um den Verdacht der Beihilfe zur verbotenen Mitteilung über Gerichtsverhandlungen. Am Freitag hatte die Staatsanwaltschaft das Ministerium durchsucht und Beweismittel sichergestellt.
Die FDP-Innenexpertin Julia Goll forderte die Anklagebehörde nun im SWR auf, auch das dienstliche und das private Handy des Ministers zu beschlagnahmen. »Die dienstliche und politische Kommunikation läuft heute über das Handy. Daher gehe ich davon aus, dass die Staatsanwaltschaft das Mobiltelefon des Innenministers beschlagnahmt hat, was allerdings aus den Verlautbarungen nicht herauszulesen ist. Falls dies nicht geschah, rufen wir dazu auf, dies dringend nachzuholen«, sagte sie der dpa. Die Staatsanwaltschaft wollte sich dazu nicht äußern. Das Ministerium verwies darauf, dass man am Freitag der Anklagebehörde »vollumfänglich und unverzüglich alle Informationen gegeben« habe.
© dpa-infocom, dpa:220510-99-229026/4