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Kinder sprechen kaum noch Dialekt: Vorbilder sind gefragt

Dialekte bringen Farbe, Humor und Vielfalt in die Sprache. Aber vor allem bei jungen Menschen sind sie vom Aussterben bedroht. Gründe gibt es einige, die meisten haben mit der Gesellschaft zu tun, mit der Schule und dem Wohnsitz.

Studie zu Dialekten
Hubert Klausmann stellt eine Studie zu Dialekten bei Grundschülerinnen und Grundschülern vor. Foto: Marijan Murat
Hubert Klausmann stellt eine Studie zu Dialekten bei Grundschülerinnen und Grundschülern vor.
Foto: Marijan Murat

S'Gsälz, das ist für die Schwaben die Marmelade, die morgens auf den Tisch kommt. Guts wird sie ab und an in Teilen Südbadens genannt, und bebbig Gutsel, also klebrige Bonbons, gibt's im Badischen höchstens mal später am Tag. Natürlich nur, wenn im Dialekt gesprochen wird - und den hört man in ganz Baden-Württemberg vor allem bei jungen Menschen immer seltener. Denn Kinder in Baden-Württemberg sprechen kaum noch Dialekt, in vielen Regionen steht die Mundart sogar vor dem Aus. Das ist bei Erwachsenen so, bei Jugendlichen auch und nun zeigt eine landesweite Studie, wie wenig Kinder die regionale Muttersprache sprechen und verstehen können. 

Das Ludwig-Uhland-Institut der Universität Tübingen hat herausgefunden, dass in den Klassen 1 und 2 der Grundschulen nur zwischen 11 und 15,3 Prozent der Jungen und Mädchen Dialekt sprechen. »Die sprachliche Entwicklung geht eindeutig in Richtung Dialektverlust«, sagte Hubert Klausmann, der Leiter des Forschungsprojekts, am Montag in Tübingen.

Vor allem in den Städten gehe die regionale Färbung deutlich verloren, sagte der Sprachwissenschaftler. Rückzugsgebiet sei unter anderem der schwäbische Raum. »Es sind Regionen mit großer Identitätsmöglichkeit und mit großer Entfernung zur Großstadt«, sagte Klausmann, der seit mehr als 30 Jahren Mundarten im süddeutschen Raum erforscht. Den einfachen Gegensatz zwischen Dialekt und dem sogenannten Hochdeutsch gebe es im südwestdeutschen Raum nicht mehr. »Viele Kinder bewegen sich heute sprachlich auf verschiedenen Ebenen zwischen dem alten Ortsdialekt und dem, was man allgemein für Hochdeutsch hält«, sagte Klausmann.

Der Leiter der Tübinger Arbeitsstelle »Sprache in Südwestdeutschland« appellierte an Eltern und Lehrkräfte, die wichtige Vorbilder für die Kinder seien, wenn es um den Dialekt gehe: »Die Einstellung gegenüber dem Dialekt spielt eine ganz, ganz wichtige Rolle«, sagte er. »Wird ein Dialekt beim Kind gelobt, so steigt der Anteil der Dialekt sprechenden Kinder. Deshalb müssen Leute verstehen, dass sprachliche Variationen etwas Normales sind.«

Das zeige auch eine Untersuchung bei Kindergartenkindern in der bayrisch-schwäbischen Region rund um Augsburg, Günzburg und Neu-Ulm. »In Bayerisch-Schwaben wird der Dialekt von den betreuenden Personen im Kindergarten viel häufiger als schön, als wichtig und als Vorteil angesehen, als das in Baden-Württemberg der Fall ist«, sagte Klausmann. »Und wird Dialekt bei einem Kind als positiv empfunden, so steigt der Anteil der Dialekt sprechenden Kinder.«

Dort will auch die »Muettersproch-Gsellschaft« ansetzen, die sich für die Pflege des Dialekts im südlichen Teil des Landes stark macht. »Im Kindergarten und in Schulen wird Dialekt kaum noch gesprochen«, sagt Vorstandsmitglied Uschi Isele. »Da findet Dialekt höchstens in Gedichten oder Liedern statt.« Menschen hätten oft die Sorge, sie könnten für weniger intelligent gehalten werden, sobald sie Dialekt sprechen. »Dabei sprechen die meisten auch Hochdeutsch, fühlen sich aber ihrer Heimat verbunden.« Auch die sozialen Medien und der Einfluss des Englischen ließen den Dialekt bei Jüngeren verschwinden.

»Traue Euch un schwätze Alemannisch«, fordert der Verein zudem. »Es ist immerhin nachgewiesen, dass es Kindern, die mit Dialekt aufwachsen, leichter fällt, eine Fremdsprache zu lernen«, wirbt Isele. Als Teil des Projekts »Mundart in der Schule« bezahlt ihr Verein Musiker und Autoren für Doppelstunden zum Thema Dialekt und lädt Ende Oktober zum »1. alemannischen Poetryslam« nach Bernau (Kreis Waldshut).    

Sprachforscher Klausmann sieht aber auch Momente, in denen ein Dialekt nicht angebracht ist. »Dialekt ist in Deutschland nicht in allen Situationen die richtige Form.« Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und der Trainer des SC Freiburg, Christian Streich, sprächen in der Öffentlichkeit keinen Dialekt, sondern nur ihre regionale Variante des Standarddeutschen. »Das ist das Problem, dass das bei den meisten Leuten dann schon als Dialekt gilt.«

Große Hoffnungen auf eine Wiedergeburt des Dialekts machen sich Klausmann und Isele nicht. »Man kann die derzeitige Entwicklung nicht aufhalten«, sagte der Tübinger. »Aber man kann aufklären, dass man den Leuten zumindest die regionale Färbung, den Dialekt der Region, als Teil der wichtigen Identifikation mit ihrer Heimat nicht nehmen darf.«

In der Tübinger Studie, die von der Eva-Mayr-Stihl-Stiftung gefördert wurde, sind fast 13 600 Schülerinnen und Schüler aus annähernd 700 Klassen sowie mehr als 705 Lehrkräfte befragt worden. Die Untersuchung war Teil der Dialektinitiative des Landes, für die Regierungschef Kretschmann vor vier Jahren den Startschuss gegeben hatte.

Muettersproch-Gsellschaft Alemannisch

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Mundart-Gesellschaft Württemberg

© dpa-infocom, dpa:220626-99-809152/6