Menschen, die Angehörige zu Hause pflegen, sind nach einer Studie oft überlastet, weil es an Hilfsangeboten mangelt oder diese von Betroffenen nicht genutzt werden können. Wie der Sozialverband VdK am Donnerstag in Stuttgart mitteilte, hat eine Analyse der Hochschule Osnabrück auch für den Südwesten ergeben, dass Angebote zur Entlastung von Angehörigen wie Tages- und Nachtpflege, Kurzzeitpflege oder Unterstützung im Haushalt bei den Betroffenen oft nicht ankommen. 80 Prozent der Leistungen verfielen ungenutzt.
»Vieles scheitert in der Pflege am Wissen«, erklärte VdK-Landeschef Hans-Josef Hotz. Die Studie zeige, dass sich die Zahl der Anträge auf Hilfsleistungen nach einer eingehenden Beratung vervierfache. Er forderte das Land auf, die Pflegestützpunkte massiv auszubauen. Nur eine solche Anlaufstelle pro Kreis im Südwesten sei zu wenig. Aus seiner Sicht müsse es einen Pflegestützpunkt pro 20.000 Einwohner geben.
Das Gesundheitsministerium hält das Angebot der Stützpunkte für ausreichend. Die hohe Zahl an Vollzeitstellen ermögliche ein gutes Beratungsangebot, da die Beschäftigten auf Wunsch auch zu den Betroffenen nach Hause kommen. »Viele Pflegestützpunkte führen außerdem regelmäßige Beratungssprechstunden in kreisangehörigen Städten und Gemeinden durch«, sagte eine Sprecherin.
Laut Studie gibt es im Südwesten fast 472.000 Menschen, die gepflegt werden müssen. Etwa 80 Prozent, also etwa 378.000, werden zu Hause versorgt. Dafür, dass Menschen Unterstützungsleistungen nicht in Anspruch nehmen, gebe es mehrere Gründe. Teilweise gebe es vor Ort solche Angebote gar nicht, vor allem in ländlichen Bereichen, oder die bürokratischen Hürden sowie die Zuzahlungen seien zu hoch, kritisierte Hotz. Im Südwesten geben die Hälfte der Befragten an, dass es in ihrer Umgebung keine Möglichkeit für eine Tagespflege gebe. Noch etwas mehr Betroffene (56 Prozent) geben an, dass es keine Angebote für Kurzzeitpflege in ihrer Nähe gebe.
Hinzu komme, dass 77 Prozent der Pflegebedürftigen den ihnen zustehenden »Entlastungsbetrag« von monatlich 125 Euro nicht abrufen. Der VdK fordert ein »Nächstenpflege-Budget«, in dem alle Leistungen gebündelt werden. So könne jeder selbst entscheiden, für welche Hilfe er sein Budget nutzen wolle. Bei der größten Krankenkasse im Land hat man andere Zahlen als der VdK. »Bei der AOK Baden-Württemberg haben 46,8 Prozent der ambulant gepflegten Pflegebedürftigen in 2021 den Entlastungsbetrag in Anspruch genommen«, sagte ein Sprecher.
Aus Sicht des Landkreistages ist es für eine dauerhaft gelingende Pflege zu Hause »elementar wichtig«, alle relevanten und verfügbaren Möglichkeiten für Angehörige und Pflegebedürftige zu kennen, wie Hauptgeschäftsführer Alexis von Komorowski mitteilte.
Hotz zeigte sich enttäuscht darüber, dass Sozialminister Manne Lucha (Grüne) bei seiner »starren Haltung« bleibe, bei der Pflege nicht wieder in die Investitionskostenförderung einzusteigen, aus der das Land 2010 ausgestiegen war. Es fehlten überall Plätze in den Heimen, das sehe man auch daran, dass an vielen Orten kaum Tagespflege angeboten werde. Lucha sage immer, er investiere nicht in Beton. »Aber Tagespflegeplätze sind auch nicht in Zelten untergebracht, sondern in Pflegeheimen«.
Auch vom Koalitionspartner CDU hätte er sich mehr erwartet, da die Union den Wiedereinstieg in die Investitionskosten versprochen habe. Der Platzmangel treffe viele tausend Menschen in Baden-Württemberg, auch weil der Eigenanteil für einen Platz im Pflegeheim immer weiter steige - er liege derzeit bei etwa 2500 Euro. Es sei bitter, wenn immer mehr Menschen an ihrem Lebensende in die Sozialhilfe gedrängt würden. Von den 100.000 Menschen in Pflegeheimen im Land sei ein Drittel auf Sozialhilfe angewiesen und somit »Bittsteller«.
Für die SPD-Fraktion sagte Florian Wahl, Baden-Württemberg brauche dringend mehr Plätze in der Tagespflege und in der Kurzzeitpflege. »Minister Manfred Lucha muss die Mittel für die Förderprogramme im nächsten Landeshaushalt massiv ausbauen. Das aktuelle ist bereits wieder ausgeschöpft.« Das Sozialministerium entgegnete, im Haushalt 2022 seien die Fördermittel nochmals um etwa 5 Millionen Euro aufgestockt worden.
Studienergebnisse für Baden-Württemberg
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