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So arbeitet das DRK auf dem Cannstatter Wasen

Auf dem Cannstatter Wasen wird geschunkelt, gelacht und tief ins Glas geschaut – doch wo Tausende feiern, bleiben Blessuren nicht aus. Wenn Maßkrüge zerspringen, der Kreislauf schlappmacht oder es ernst wird, ist das Deutsche Rote Kreuz zur Stelle. Wie die Arbeit der Ehrenamtler aussieht.

Die Rettungssanitäter der DRK-Wasenwache sind allzeit bereit. Sie alle bringen Knowhow mit. Wer mitarbeiten möchte, braucht mind
Die Rettungssanitäter der DRK-Wasenwache sind allzeit bereit. Sie alle bringen Knowhow mit. Wer mitarbeiten möchte, braucht mindestens eine Ausbildung zum Sanitäter. Die Positionen auf der Wasenwache werden je nach Qualifikation besetzt. Foto: Geisinger
Die Rettungssanitäter der DRK-Wasenwache sind allzeit bereit. Sie alle bringen Knowhow mit. Wer mitarbeiten möchte, braucht mindestens eine Ausbildung zum Sanitäter. Die Positionen auf der Wasenwache werden je nach Qualifikation besetzt.
Foto: Geisinger

STUTTGART. Die Sonne senkt sich langsam über dem Cannstatter Wasen. Draußen drehen sich die Karussells, die Bierzelte vibrieren, und der Duft von gebrannten Mandeln und Bratwurst liegt in der Luft. Gleich neben dem Festgelände herrscht eine andere Stimmung – etwas ernster, aber mindestens genauso gut. Hier sammeln sich zum Schichtwechsel um 18 Uhr die Helfer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), die in der Wasenwache für die medizinische Versorgung der vielen feierwütigen Gäste sorgen.

Nico Schmid, 25, Sanitäter und Teil der Öffentlichkeitsarbeit des DRK, führt durch die Wache. »Hier läuft alles zusammen, von der kleinen Schnittwunde bis zum Herzinfarkt«, sagt er. Die Wache, die sich am südlichen Rand des Wasengeländes befindet, ist neben der kleineren DRK-Neckarwache eine von zwei Anlaufstellen für medizinische Versorgung auf dem Festgelände. Nicht besonders lang ist der Flur, in dem zwei Wochen lang jede Menge Patienten ein- und ausgehen.

Nicht besonders gemütlich, aber zweckdienlich: Nico Schmid (DRK-Öffentlichkeitsarbeit) steht in einem der beiden Ausschlafräume.
Nicht besonders gemütlich, aber zweckdienlich: Nico Schmid (DRK-Öffentlichkeitsarbeit) steht in einem der beiden Ausschlafräume. Mann und Frau schlafen hier getrennt. Foto: Geisinger
Nicht besonders gemütlich, aber zweckdienlich: Nico Schmid (DRK-Öffentlichkeitsarbeit) steht in einem der beiden Ausschlafräume. Mann und Frau schlafen hier getrennt.
Foto: Geisinger

Aber es gibt alles, was man braucht. Ambulanz 1 für kleinere Verletzungen wie Schnittwunden, Prellungen oder Stürze; Ambulanz 2, ebenfalls für »alles, was nicht so dramatisch ist«, wie Schmid sagt, aber zusätzlich mit EKG und Beatmungsgerät ausgestattet, um kritischere Fälle zu behandeln; einen Akutraum, in dem ein Notarzt bereitsteht und in dem reanimiert, intubiert oder beatmet wird; und zwei Ausschlafräume, einen für Männer und einen für Frauen, in dem später jene Besucher mit Kreislaufproblemen oder alkoholbedingt ausruhen.

Sechs Betten gibt es dort – und haufenweise sogenannte Sicsacs. »Das ist Fachjargon für Spucktüten«, erklärt Schmid. Rund einen Liter Fassungsvermögen haben die weißen Beutel, deren Öffnung von einem Plastikring gestützt wird. »Bis die voll sind, braucht es schon viel«, sagt Schmid schmunzelnd. Geschafft hat das noch keiner. Dafür schaffen es immer wieder ein paar, die Öffnung ganz zu verfehlen. »Dann müssen wir eben putzen.«

In der DRK-Wasenwache vermischen sich witzige Momente mit ersten Situationen. Manche Patienten sind lustig, wenn sie betrunken sind, sagt eine von Schmids Kolleginnen. »Einer wollte zum Beispiel nach jedem Satz einen High-Five von mir«, erinnert sie sich und grinst. Andere neigen zu Pöbeleien und Beleidigungen. Und dann gibt es noch die, die sich bei den ehrenamtlichen Helferinnen als Romantiker verstehen. »Dass die Mädels angemacht werden, das kommt schon öfter vor«, bestätigt Schmid.

Doch auf der Wache ist niemand allein. Ganz im Gegenteil: Das Team versteht sich gut, hier und dort werden Witze gerissen, die Laune ist trotz der Arbeit gut. Doch natürlich gibt es auch Momente, in denen keine Zeit mehr für Spaß ist. Schmid erzählt von einer Erfahrung auf dem vergangenen Frühlingsfest. »Da gab es einen jungen Mann, der auf dem Fest einen Herzinfarkt erlitten hat.« Notärzte und Rettungssanitäter der Wasenwache haben den Mann sofort medizinisch betreut, ehe er »in gute Hände« an die Ärzte im Krankenhaus übergeben werden konnte, wie Schmid sagt. Ob es dem Mann heute gut geht, wissen die Helfer nicht. Nur, dass alle alles gegeben haben, was sie konnten.

Die Neckarwache, auf dessen Seite sie sich befindet, gehört ebenfalls zum Deutschen Roten Kreuz und ist auf dem Wasengelände noc
Die Neckarwache, auf dessen Seite sie sich befindet, gehört ebenfalls zum Deutschen Roten Kreuz und ist auf dem Wasengelände noch näher am Geschehen dran. Entsprechend rudimentär ist die Wache deshalb aufgebaut. Foto: Geisinger
Die Neckarwache, auf dessen Seite sie sich befindet, gehört ebenfalls zum Deutschen Roten Kreuz und ist auf dem Wasengelände noch näher am Geschehen dran. Entsprechend rudimentär ist die Wache deshalb aufgebaut.
Foto: Geisinger

Auf dem Parkplatz vor der Wasenwache, auf dem sämtliche Einsatzfahrzeuge bereitstehen, meldet sich zwischenzeitlich ein junger Mann bei den Helfern in oranger Kluft. Mit einer Zigarette im Mund sagt er: »Ich habe irgendwie seit zwei Stunden Schmerzen im Rücken.« Als Schmid ihn nach drinnen bittet, sagt der Patient: »Also, es ist eigentlich echt nicht so schlimm. Keine Ahnung.« Auch diese Bagatellfälle gehören mit dazu. »Manchmal kommen die Leute eben mit ihren Alltags-Wehwechen. Eigentlich sind wir dafür nicht der richtige Ansprechpartner.« Trotzdem gibt’s eine kurze Untersuchung und bei Bedarf auch eine Ibuprofen.

Was Schmid und seine Kollegen zudem als Tagesgeschäft bezeichnen, sind Schnittwunden und Stürze – etwa wenn sich jemand an einem zerbrochenen Bierkrug verletzt oder vor lauter guter Laune von der Bierbank hagelt. Klassiker, die es garantiert jeden Tag gibt, weiß Schmid. Ebenso wie die, die sich mit dem Alkohol überschätzen. »Besonders zum Schichtwechsel im Zelt, wenn die Leute an die frische Luft gehen, haben wir vermehrt zu tun.« »Da kann man schon pauschal sagen, dass einiges liegen bleibt«, schmunzelt der 25-Jährige. Hin und wieder gehören auch Schlägereien dazu, oft ausgelöst durch Alkohol oder hitzige Diskussionen im Zelt. »Tendenziell würde ich aber sagen, dass diese Fälle in den vergangenen Jahren abgenommen haben.«

»Da gab es einen jungen Mann, der auf dem Fest einen Herzinfarkt erlitten hat«

Manchmal kommt es auch zu außergewöhnlicheren Vorfällen, zum Beispiel wenn ein Patient wegen Pfeffersprays im Bierzelt versorgt werden muss. »Das passiert so einmal pro Fest«, so Schmid. Für die kleinen und die größeren medizinischen Einsätze sind jeden Tag um die 100 Helfer im Drei-Schicht-System im Einsatz. Die Frühschicht startet zum Wasenstart um 11 oder 12 Uhr, die Mittelschicht um 15 Uhr, und wer um 18 Uhr anfängt, der bleibt bis Ende. »Was die meisten Leute nicht wissen und was das Ganze eigentlich so besonders macht, ist, dass die meisten bei uns ehrenamtlich arbeiten«, sagt Schmid. Wochenenddienste sind dabei so heiß begehrt, dass sie oft Wochen im Voraus »ausgebucht« sind.

Auf die Frage, wieso sich die Helfer schon beinahe um die freiwillige Mitarbeit auf dem Wasen streiten, sagt Schmid: »Man ist hier im Epizentrum der Versorgung und es ist einfach ein Spektakel. Viele Helfer reisen extra an und nehmen sich Urlaub beim Hauptjob. Man weiß, hier passiert auf jeden Fall etwas, man erlebt was«, so Schmid. »Und man muss auch sagen, es ist schon so, dass die Kameradschaft einfach Spaß macht. Man verbringt hier viel Zeit zusammen. Es entstehen Freundschaften, ab und zu auch Beziehungen.« Sein Kollege ergänzt lachend: »Es ist bei uns wie in einer großen WG, manchmal mit ein bisschen Arbeit dazwischen.«

Die Nacht bricht herein. Patienten kommen und gehen – kleine Bagatellen, ein paar Stürze, eine allergische Reaktion und zahlreiche Fälle von zu viel Alkohol. 70 Menschen haben Nico Schmid und seine Kollegen an diesem Tag auf dem Stuttgarter Wasen versorgt. Doch zwischen den Routinefällen gibt es immer wieder Einsätze, die herausstechen. An diesem Tag war es ein schwer verletzter Mann. Er wurde von einem Transportfahrzeug des DRK vor einem Bierzelt entdeckt. »Keine Freunde, niemand vor Ort«, erzählt Schmid. »Der Patient war von Anfang an tief bewusstlos. Wir vermuten eine schwere Hirnverletzung.« Was genau passiert war, können auch die Helfer nicht mehr rekonstruieren. »Wir haben den Patienten künstlich beatmet und mit einem Notarzt ins Krankenhaus gebracht.«

Schließlich ist es Mitternacht. Die Polizei fährt über das Gelände in Bad Cannstatt, durchs Funkgerät geht das Codewort »Ludwig« an alle – das bedeutet Feierabend. Warum Ludwig? Das weiß keiner so genau. Aber jeder Helfer versteht, was gemeint ist. Am nächsten Tag geht die Arbeit wieder von vorne los – und eines ist sicher: Die Lebensretter stehen bereit. (GEA)