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Schwelling und Strobl: Abstriche bei Standards in Krise

Für die Kommunen ist klar: Die Bürger müssen sich in der Krise von dem einen oder anderen liebgewonnenen Standard verabschieden. Es sei einfach nicht mehr alles finanzierbar. Der Appell fällt bei Grünen und CDU auf fruchtbaren Boden.

Lena Schwelling (Grüne)
Lena Schwelling (Grüne) spricht. Foto: Marijan Murat
Lena Schwelling (Grüne) spricht.
Foto: Marijan Murat

In der grün-schwarzen Koalition wird wegen der Krise die Forderung nach Abstrichen bei bestimmten staatlichen Standards etwa bei der Kinderbetreuung oder beim Wohnungsbau lauter. Nach der Grünen-Vorsitzenden Lena Schwelling unterstützte auch Innenminister und CDU-Landeschef Thomas Strobl das Ansinnen der Kommunen im Südwesten. »Wir können nicht einfach so weiter machen - auf höchstem Standard und jeden Tag wird noch ein bisschen höher versprochen«, sagte Strobl der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Zuvor hatte Schwelling erklärt, die Kommunen hätten völlig recht. Erzieherinnen und Erzieher wüchsen »nicht auf den Bäumen«. Man müsse es hinkriegen, den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz und auf Ganztagsbetreuung an den Grundschulen umzusetzen. »Wenn wir sagen, es hat für uns Priorität, dass jedes Kind einen Betreuungsplatz bekommt, dann wird die Gruppengröße etwas wachsen müssen.«

Grünen-Fraktion regt neue Gespräche über Betreuungsschlüssel an

Zuletzt hatten Städte und Gemeinden gefordert, die coronabedingten Ausnahmen in Kitas für die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher pro Gruppe zu verlängern. Doch das Kultusministerium verweigert dies. Grund ist die Sorge, dass Erzieherinnen und Erzieher durch zu große Gruppen überlastet würden und ihren Job aufgeben könnten. Die Fraktionen von Grünen und CDU verwiesen darauf, dass das Ministerium die Möglichkeit eröffnet habe, in einer Kita-Gruppe anstelle einer zweiten Fachkraft auch zwei Nicht-Fachkräfte einzustellen. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz will trotzdem noch einmal darüber reden: »Zusammen mit den Trägern müssen wir über weitere zeitlich befristete Maßnahmen sprechen, um die aktuelle Situation abzufedern.« Für die CDU-Fraktion sagte allerdings Alexander Becker: »Die Gruppengröße in den Kitas sollte erst dann verändert werden, wenn wir merken, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen.«

CDU-Landeschef nimmt Schwellings Ball auf

Zuvor hatte Schwelling gesagt, im Südwesten gebe es im bundesweiten Vergleich einen hohen Standard beim Personalschlüssel. Man müsse sich dann eben ehrlich in die Augen schauen und sagen: »Gut, dann kommen eben ein paar Kinder mehr in diese Gruppe.« Strobl sagte, als Kommunalminister freue er sich über den Vorstoß der Grünen-Chefin. Er appellierte an den grünen Koalitionspartner: »Lasst uns das nun tatkräftig umsetzen.« Wenn so hohe Maßstäbe angelegt würden, »die das Haus in der Krise zum Einsturz bringen, dann muss man davon abrücken und in der Lage sein, im Sinne der Menschen im Land auch pragmatische Lösungen zu finden«. Die CDU sei dazu bereit.

Kommunen wollen Taten sehen

Der Städte-, aber auch der Gemeinde- und der Landkreistag will die Koalition beim Wort nehmen. »Wir begrüßen, dass die Diskussion zur grundsätzlichen Aufgabenkritik nochmals angestoßen wurde«, erklärten Gudrun Heute-Bluhm für den Städtetag, Steffen Jäger vom Gemeindetag und Alexis von Komorowski für die Landkreise. Es müssten nun weitere Schritte bei der Überprüfung von Standards und Hürden folgen, um für die Kommunen »spürbare Erleichterungen« zu ermöglichen. »Hier stehen wir für eine gemeinsame Analyse und beherzte Standardabsenkungen bereit«, hieß es. Spätestens im Oktober wollen die Kommunen mit dem Land in der gemeinsamen Finanzkommission erneut über dieses Thema verhandeln.

Kritik vom Ex-Kultusminister

Aus der Opposition kam Kritik an der Haltung bei Grünen und CDU. Das Land habe noch andere Möglichkeiten, die angespannte Lage in den Kitas zu meistern, zeigte sich SPD-Fraktionschef Andreas Stoch überzeugt. »Auch in Zeiten des Fachkräftemangels muss das Kindeswohl oberste Priorität haben.« Eine Veränderung des Mindestpersonalschlüssels könne nur das allerletzte Mittel der Regierung sein. Der Ex-Kultusminister plädierte dafür, lieber »nachhaltige Entlastungen« zu schaffen. »Beispielsweise in Form multiprofessioneller Teams und durch den Einsatz von Verwaltungs- und Hauswirtschaftskräften, damit sich Fachkräfte auf den Kern ihrer pädagogischen Arbeit konzentrieren und mit den Kindern arbeiten können.«

Grünen-Chefin stellt auch Standards für barrierefreies Wohnen infrage

Schwelling sprach sich auch dafür aus, beim Bauen bestimmte Standards zu senken. Natürlich sei es das Ziel, »möglichst viele barrierefreie Wohnungen zu bauen. Aber nicht alle Menschen brauchen eine barrierefreie Wohnung. Da müssen wir zu einem gesunden Maß zurückkommen. Es muss nicht immer alles «high end» perfekt sein«, sagte die 30-jährige Grünen-Politikerin, die auch im Ulmer Gemeinderat sitzt.

Ein weiteres Beispiel ist der Stellplatz-Schlüssel. Die Städte kämpften bei jedem Neubauprojekt damit, dass sie für Wohnungen einen Stellplatz nachweisen müssten. Das bedeute, dass man bei Nachverdichtung in Innenstädten immer Tiefgaragen bauen müsse, »die unfassbar teuer sind«. Angesichts der sich abzeichnenden Veränderung der Mobilität müsse man schon die Frage stellen, ob es sinnvoll sei, so viele Tiefgaragenplätze unter der Stadt zu bauen oder ob es andere Möglichkeiten gebe.

Friedrich Haag von der FDP-Fraktion unterstützte die Forderungen von Schwelling zwar grundsätzlich, sagte aber auch: »Viel zielführender wäre es, die Landesbauordnung zu entschlacken und die Bürokratie auf ein notwendiges Minimum zurückzuführen.« Stattdessen sorgten die Grünen dafür, dass das Bauen durch immer neue Auflagen teurer werde. Als Beispiel nannte Haag die Photovoltaikpflicht auf Wohngebäuden und bei Dachsanierungen. AfD-Fraktionschef Bernd Gögel zeigte kein Verständnis dafür, dass die Grünen an der Barrierefreiheit Abstriche machen wollten.

© dpa-infocom, dpa:220912-99-724137/4