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Scholz: Putin will uns Hungerkrise in die Schuhe schieben

Bundeskanzler Scholz ist zwar selbst nicht Mitglied einer Kirche, bekam beim Katholikentag in Stuttgart aber einen besonders warmen Empfang. Einen Zwischenfall mit einem Aktivisten kommentierte er spöttisch.

Bundeskanzler Scholz
Olaf Scholz nimmt beim Katholikentag in Stuttgart an einer Podiumsdiskussion teil. Foto: Marijan Murat
Olaf Scholz nimmt beim Katholikentag in Stuttgart an einer Podiumsdiskussion teil.
Foto: Marijan Murat

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgeworfen, die durch seinen Angriff auf die Ukraine ausgelöste Hungerkrise dem Westen anlasten zu wollen. Dieses »Putinsche Narrativ« müsse unbedingt widerlegt werden, sagte Scholz am Freitag beim Katholikentag in Stuttgart. »Der hat ja eine Formulierung dafür gefunden. Er spricht immer von uns als dem globalen Westen«, sagte Scholz.

Damit meine Putin seine Feinde, gegen die er sich mit allen anderen Ländern verbünden wolle. »Die Hungerkrise, die sein Krieg, den er angezettelt hat, auslöst, versucht er dann gleichzeitig denjenigen, die der Ukraine beistehen, in die Schuhe zu schieben.« Es sei deshalb wichtig, den Ländern des globalen Südens auf Augenhöhe entgegenzutreten und sie nicht in die Arme Putins zu treiben. Die Ukraine, die als Kornkammer Europas gilt, kann durch den Krieg viel weniger Weizen exportieren. Zudem sind durch die Kampfhandlungen wichtige Lieferketten unterbrochen.

»Wir haben uns entschieden, dem Opfer dieses Angriffskriegs beizuspringen«, sagte Scholz. »Putins Krieg richtet sich gegen eine Friedensordnung, die aus dem Bekenntnis «Nie wieder» nach zwei verheerenden Weltkriegen entstanden ist. Er will zurück zum Recht des Stärkeren.«

Während des Scholz-Auftritts in der Stuttgarter Liederhalle versuchte ein Aktivist, auf die Bühne zu stürmen. Er wurde daran jedoch von Sicherheitskräften gehindert, überwältigt und weggetragen. Ein anderer Aktivist rief laut »Schwachsinn«, als Scholz gerade über den Ausstieg aus der Kohleverstromung sprach. Scholz kommentierte die Aktion spöttisch mit den Worten, er erlebe das »von immer den gleichen Leuten«, es sei ein »schauspielerisch geübter Auftritt«. Er erntete dafür stürmischen Applaus.

Die radikale Klimaschutzgruppe »Letzte Generation« erklärte, die Aktion gehe auf sie zurück. Ihr 25-jähriger Pressesprecher habe sich mit Sekundenkleber auf dem Podium ankleben wollen, hieß es in einer Mitteilung. Ein Polizeisprecher sagte, dass nach derzeitigem Stand keine strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn eingeleitet würden.

In einem Gespräch unter anderem mit der Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, warnte Scholz mit Blick auf die umfassende Vergabe von chinesischen Krediten an ärmere Staaten vor einer weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise. Deutschland stimme sich mit westlichen Gläubigerländern ab, um frühere Fehler nicht zu wiederholen. »Eine der ganz, ganz großen Ambitionen, die wir verfolgen, ist es, China als Land, das auf neue Weise viele Kredite vergibt, da miteinzubeziehen«, sagte Scholz. Andernfalls bestehe die »wirklich ernste Gefahr«, dass die nächste große Schuldenkrise im Anzug sei.

Scholz, der aus der evangelischen Kirche ausgetreten ist und seinen Amtseid im Dezember ohne die Gottesformel »So wahr mir Gott helfe« abgelegt hatte, wurde beim Katholikentag ein warmer Empfang zuteil. Deutlich zu spüren war die Erleichterung darüber, dass der Regierungschef den Weg nach Stuttgart gefunden hatte. Von der CDU, die früher bei Katholikentagen immer massiv Flagge gezeigt hatte, war kein einziger Vertreter aus der ersten Reihe erschienen. Wie zuvor schon Bundespräsident Franz-Walter Steinmeier dankte auch Scholz den Katholiken für ihr soziales Engagement während der Corona-Pandemie.

Rund 200 Menschen aus der Ukraine demonstrierten beim Katholikentag für Waffenlieferungen an das angegriffene Land. Mit einer großen blau-gelben Ukraineflagge und zum Teil in blutgetränkt wirkenden T-Shirts forderten die Frauen und Kinder lautstark militärische Hilfe und mehr Tempo in der deutschen Bürokratie.

Inna Wjzelewa, die mit ihrer Tochter aus dem Kiewer Vorort Butscha fliehen konnte, berichtete: »Ich habe ein normales Leben geführt wie Millionen von anderen Menschen in unserem Land.« Nach dem russischen Überfall habe sie zunächst zwei Wochen in einem Keller ausgeharrt. »Dann haben meine Tochter und ich unser Schicksal in die Hand genommen und sind selbst gelaufen. Wir haben nur gehofft, dass uns auf der Flucht niemand in den Rücken schießt.«

Ihre 14 Jahre alte Tochter habe zwischen den Leichen laufen müssen, um aus ihrer Heimat zu fliehen. »Jetzt will ich, dass die ganze Welt hört und sieht, was dort geschieht«, sagte Wjzelewa. »Denn mit Waffen hätte man die Toten von Butscha verhindern können.« In dem Ort waren Anfang April nach dem Abzug der Russen Hunderte von Leichen gefunden worden. Die Berichte und Bilder der Gräueltaten hatten weltweit Entsetzen ausgelöst.

Katholikentag

© dpa-infocom, dpa:220527-99-451144/5