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Rocker & Co: Paralleljustiz bedroht den Rechtsstaat

Richter ohne Gesetz: Bestimmte Gruppen nehmen auch Konflikte selbst in die Hand und geben sie nicht an Polizei und Gerichte ab. Die Paralleljustiz bedroht den Rechtsstaat - auch im Südwesten.

Die Statue Justitia
Die Statue Justitia hält eine Waage in ihrer Hand. Foto: Peter Steffen/Archivbild
Die Statue Justitia hält eine Waage in ihrer Hand. Foto: Peter Steffen/Archivbild

STUTTGART. Ein Gefangener, der aus Furcht vor Gewalt nicht gegen seine Zellengenossen aussagt. Eine junge Frau, die von ihren Brüdern misshandelt wird, weil sie die vermeintliche Familienehre beschmutzt. Polizisten, die von Flüchtlingen gewaltsam an einer Abschiebung gehindert werden - wie in Ellwangen. Hooligans, die aggressiv den öffentlichen Raum für sich beanspruchen. Reichsbürger, die Waffen horten und den deutschen Staat nicht anerkennen. Mafiosi und Rocker, die ihre Konflikte schon seit jeher selbst regeln.

Auch in Baden-Württemberg untergraben Fälle von Paralleljustiz den Rechtsstaat - das ist das Ergebnis einer Studie, die am Montag in Stuttgart vorgestellt wurde. Das Phänomen ist vielschichtig, aber: Als Paralleljustiz werden Formen der Konfliktlösung bezeichnet, die gegen rechtsstaatliche Regeln verstoßen.

Die Lage sei zwar nicht dramatisch im Südwesten, aber es gebe auch hier Probleme, bilanzierte Professor Mathias Rohe von der Universität Erlangen-Nürnberg am Montag seine Untersuchung. Er ist Experte für das Phänomen. Rohe führte Interviews mit anderen Experten im Land. »Der Rechtsstaat ist kein Selbstläufer, der von allen akzeptiert und verstanden wird«, sagt er.

Rohe berichtet etwa von dem Milieu der Reichsbürger und Selbstverwalter, die eine »Gegenrechtsordnung« anstrebten. Oder von abgeschotteten und patriarchalisch strukturierten Großfamilien, in denen ein starker Ehrbegriff herrscht und in denen Sozialnormen wichtiger seien als das Recht. Auch in einzelnen Flüchtlingsgruppen bestünden Tendenzen zur außerrechtlichen Konfliktlösung, teilte das Justizministerium mit. Rohe sagte, auch Jesiden, die Jahrhunderte der Verfolgung hinter sich haben und sich immer schützten mussten gegen eine Mehrheitsgesellschaft, hätten Mechanismen entwickelt, die es einzelnen Mitgliedern schwer machten, herauszukommen.

»Es gibt hier ein nennenswertes Problem für den Rechtsstaat - wir können nicht sagen, wie massiv es ist«, sagte Rohe. Das Dunkelfeld könne nicht erhellt werden, weil die Ressourcen fehlten und man auf eine Mauer des Schweigens treffe. Aber es bestehe Handlungsbedarf. Man dürfe das Vorfeld nicht außer acht lassen. »Paralleljustiz fällt nicht vom Himmel, sondern entsteht sukzessive.« Schon bei Hochzeitskorsos müsse man niedrigschwellig eingreifen. Der Rechtsstaat müsse Druck machen, empfiehlt der Experte - und gleichzeitig Prävention fördern. Es brauche dringend mehr Ressourcen, etwa mehr Plätze in Schutzhäusern.

Die Studie war vom Justizministerium mit Zustimmung aller Landtagsfraktionen in Auftrag gegeben worden. »Paralleljustiz bedeutet Willkür statt Rechtsstaat - und das können und dürfen wir nicht dulden«, sagte Justizminister Guido Wolf (CDU). Die Probleme seien hierzulande weniger drängend als in Nordrhein-Westfalen oder Berlin. Das liege auch an wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und effektiven Gegenmaßnahmen. »Eine echte Paralleljustiz wäre kein «Schönheitsfehler», sondern Zeichen staatlichen Scheiterns.«

Die Studie empfiehlt konkret unter anderem schnelle staatliche Reaktionen auf Straftaten, etwa durch beschleunigte Verfahren. Ebenso soll die Verweisung auf den Privatklageweg, wie er etwa bei Beleidigungen erfolgen kann, nur nach sorgfältiger Einzelfallprüfung erfolgen. Wolf sagte außerdem, dass aus Straftaten erworbenes Vermögen schneller und umfassender abgeschöpft werden müsse.

Man müsse wachsam sein, sagte Wolf. Wenn sich Strukturen herausgebildet haben und der Rechtsstaat erst einmal an Ansehen verloren hat, werde es sehr schwer, die Entwicklung zurückzudrehen. Wolf kündigte an, einen Austausch mit seinen Kabinettskollegen zu dem Thema zu initiieren. Das sei eine Querschnittsaufgabe für die Bereiche Justiz, Inneres und Soziales. »Einen auch nur partiellen Rückzug des Rechtsstaats darf es nicht geben.« (dpa)

Professor Mathias Rohe
Professor Mathias Rohe. Foto: Michael Kappeler/Archivbild
Professor Mathias Rohe. Foto: Michael Kappeler/Archivbild