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Nur noch kalte Küche in der Landeshauptstadt

Den Fachkräftemangel wollte Bernd Kreis in seinem Restaurant in Stuttgart mit einem Koch aus Peru lösen. Doch die Arbeitserlaubnis der hiesigen Behörden blieb aus.

In Zukunft bleibt die Küche kalt: Bernd Kreis wartete vergeblich auf Unterstützung aus Peru für seine Spezialitäten.  FOTO: LG/P
In Zukunft bleibt die Küche kalt: Bernd Kreis wartete vergeblich auf Unterstützung aus Peru für seine Spezialitäten. FOTO: LG/PIECHOWSKI
In Zukunft bleibt die Küche kalt: Bernd Kreis wartete vergeblich auf Unterstützung aus Peru für seine Spezialitäten. FOTO: LG/PIECHOWSKI

STUTTGART. Eigentlich ist Bernd Kreis sprachlos. Aber er muss trotzdem eine Menge erklären, denn in seiner Weinbar High Fidelity im Stuttgarter Bohnenviertel bleibt die Küche bis auf Weiteres kalt. Nur noch donnerstags und freitags gibt es das peruanische Sandwich mit Schweinespeck. Die Bundesagentur für Arbeit hat dem Wirt und Weinhändler die Arbeitserlaubnis für einen Koch aus Peru verweigert. »Das ist bitter«, sagt Bernd Kreis. Denn in Stuttgart hatte er keinen geeigneten Kandidaten gefunden. In der Jobsuche der Arbeitsagentur werden für die Stadt allein 88 freie Vollzeitstellen für Köche aufgelistet. Der Hotel- und Gaststättenverband sowie die Politik fordern deshalb leichtere Einwanderungsregeln.

»Die Behörden müssten Unternehmer doch unterstützen«, sagt Bernd Kreis, erst recht nach der Pandemie und angesichts von Inflation und Wirtschaftskrise. »Stattdessen wird an irgendeinem Schreibtisch unser Konzept zerstört«, ärgert er sich. Seit Februar haben er und seine Frau Roxana die Lücke in der Küche gefüllt und lange Schichten geschoben. Rafael heißt der junge Mann, der den Job hätte übernehmen sollen. Roxana Naranjo-Kreis hatte in ihrer Heimat die Stelle ausgeschrieben, weil im High Fidelity peruanische Sanguche serviert werden, das klassische Streetfood Limas. Der 30-Jährige legte Abschlüsse von zwei Kochschulen vor, er war Chef-Sánguchero in einer Traditionssanguchería mit elf Filialen, hatte mit Perus berühmten Köchen wie Gastón Acurio und in Sterne-Restaurants in Spanien und Thailand gearbeitet. Der Plan war, mit ihm das Speiseangebot in der Weinbar auszuweiten.

»Die Begründung ist absolut skandalös«

Nur: Die Erkenntnis, dass es nicht schnell gehen würde, stellte sich recht schnell ein. Im Dezember meldete sich Rafael erstmals bei der deutschen Botschaft in Peru, im Februar bekam er einen Termin. Bernd Kreis hatte das Gefühl, den zuständigen Sachbearbeitern jede Information aus der Nase ziehen zu müssen. Zwischendurch ging die Akte verloren – und tauchte aus unerfindlichen Gründen bei der Ausländerbehörde im Rems-Murr-Kreis wieder auf. »Wir waren am Verzweifeln«, sagt Bernd Kreis. Alle Behörden stimmten schließlich zu – nur die Agentur für Arbeit schickte nach sieben Monaten eine Absage. Deren Begründung findet der Wirt »absolut skandalös«.

Die Behörde urteilte, dass Rafaels Ausbildung unzureichend, seine Berufserfahrung mangelhaft ist. Sie befand außerdem, dass das Lokal nicht peruanisch genug sei als Weinbar mit einem Jazzmusikkonzept, um einen Koch aus Peru anstellen zu dürfen. »Als ob Peruaner weder Wein trinken noch Jazz hören würden«, regt sich Bernd Kreis auf, und nur Bilder von der Inkastadt Machu Picchu sein Lokal authentisch machen würden. Das sei eine Beleidigung für jeden Peruaner. Diese Einschätzung zeige, wie ignorant die Behörde sei, wie sehr kolonialem Denken verhaftet und nah am Rassismus, weil die Erfüllung von Klischees verlangt werde. »Das ist meine frustrierendste Erfahrung in 30 Jahren Selbstständigkeit«, sagt Bernd Kreis.

Marcel Schmutzler von der Auslands- und Fachvermittlung der Bonner Arbeitsagentur hält dagegen, dass sich seine Zentrale nur an Beschäftigungsverordnung und Aufenthaltsgesetz hält. Darin werde eng definiert, was ein Spezialitätenkoch und ein Spezialitätenrestaurant sei, erklärt er. Das Lokal müsse zum Beispiel eine unverfälschte Nationalitätenküche anbieten. »Ein Spezialitätenrestaurant muss auch durch das Ambiente den nationalen Charakter des jeweiligen Landes wiedergeben und diesen dem Gast zweifelsfrei vermitteln«, heißt es darin. Eine weitere Voraussetzung ist, dass der Chef Tariflohn bezahlt, was Kreis getan hätte.

Langwierig, aufwendig und teuer: Für Gastronomen ist dieses Verfahren nicht praktikabel, kritisiert auch Dennis Bachmann, der Geschäftsführer Politik vom Hotel- und Gaststättenverband Baden-Württemberg. Dabei zähle für fast zwei Drittel der Dehoga-Mitglieder der akute Mitarbeitermangel zu den größten Herausforderungen. »Wir brauchen Zuwanderung«, sagt er und begrüßt, dass sich die Bundesregierung eine Reform der Gesetze vorgenommen hat.

»Die Behörden sollen uns in Ruhe lassen«

»Einen Mentalitätswechsel auf allen Ebenen«, fordert der FDP-Bundestagsabgeordnete Pascal Kober. Eigentlich ist er für den Wahlkreis Reutlingen zuständig, findet aber den Stuttgarter Fall exemplarisch: »Er zeigt anschaulich, wie sehr der Fachkräftemangel unseren Wohlstand gefährdet«, wenn Arbeit, die anfalle und für die jemand bereit sei zu bezahlen, nicht mehr erledigt werden könne. Marcel Schmutzler weist noch darauf hin, dass der Koch ein Visum bekommen kann, wenn er nachweist, dass seine Ausbildung der deutschen entspricht.

Die duale Lehre ist allerdings weltweit recht einzigartig. Außerdem gebe es spezielle Anwerbeprogramme, das Projekt Comex vermittelt beispielsweise Köche aus Mexiko. »Uns ist es wichtig, dass wir nur mit solchen Ländern zusammenarbeiten, die neben einem guten Bewerberpotenzial auch selbst ein Interesse an dieser Zusammenarbeit haben«, erklärt er – um die Ausbeutung der Arbeitnehmer und der Arbeitsmärkte zu verhindern.

Bei Bernd Kreis und seiner Frau Roxana ist jetzt erst einmal die Luft raus. Rafael, der monatelang auf gepackten Koffern saß, musste sich nach einer anderen Festanstellung umsehen. Allein der Antrag auf ein Widerspruchsverfahren kostet 400 Euro. Und noch einmal lange Monate bangen will Bernd Kreis nicht. Er kann die vielen Vorschriften nicht nachvollziehen, weil es ihn teuer kommen würde, die Stelle fehlzubesetzen – und dies besser als ein Beamter beurteilen könne. »Die Behörden sollen uns in Ruhe arbeiten lassen, dann läuft das Land«, sagt Bernd Kreis. (GEA)