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Nach Brand in Pflegeheim: Mitbewohnerin unter Verdacht

Erst Schock und Trauer, dann Entsetzen: Hat eine Mitbewohnerin den verheerenden Brand in einem Reutlinger Pflegeheim für psychisch Kranke gelegt? Die Staatsanwaltschaft ermittelt, während Mitarbeiter und Feuerwehrleute geschockt sind von den Erfahrungen der Nacht.

Brand in Pflegeheim in Reutlingen
Mitarbeiter der Spurensicherung gehen in das Pflegeheim, in dem es gebrannt hatte. Foto: Christoph Schmidt
Mitarbeiter der Spurensicherung gehen in das Pflegeheim, in dem es gebrannt hatte.
Foto: Christoph Schmidt

Ein verkohltes Fenster, die Scheiben sind gesprungen, die Lamellen des Rollos hängen schief heraus, die Hauswand ist schwarz vom Ruß. Spuren des Brandes in einem Reutlinger Pflegeheim, der am Dienstagabend drei Menschen das Leben gekostet hat. Elf weitere sind leicht, eine Frau schwer verletzt. Auf die 57-Jährige konzentrieren sich nun die Ermittlungen der Polizei, während die Experten in den rußgeschwärzten Räumen nach Antworten auf die vielen offenen Fragen suchen.

Gegen die Frau werde wegen Verdachts des dreifachen Mordes und elffachen Mordversuchs ermittelt, teilten die Behörden am Mittwoch mit. Nach bisherigen Erkenntnissen sei das Feuer am Dienstagabend in ihrem Zimmer im Obergeschoss des Hauses ausgebrochen. Die Kriminaltechniker ermitteln weiter, denn völlig unklar bleibt auch ein mögliches Tatmotiv der verdächtigten Frau, die laut Polizei psychisch krank und derzeit noch nicht ansprechbar ist. Die 57-Jährige werde in einer Spezialklinik behandelt.

Der Notruf hatte die Feuerwehr am Dienstagabend um 19.43 Uhr erreicht, sechs Minuten später waren die ersten Löschwagen am Ort des Brandes. Ein Mensch mit rußgeschwärztem Gesicht saß beim Eintreffen der Feuerwehr bereits vor der Eingangstür des Gebäudes, erinnert sich Feuerwehr-Einsatzleiter Martin Reicherter. Für drei Menschen - eine 53-jährige Frau und zwei Männer im Alter von 73 und 88 Jahren - war es da bereits zu spät. Nach Angaben der Feuerwehr atmeten sie Rauchgas ein und starben.

Das Feuer war in einer von insgesamt vier Wohngruppen des Heimes ausgebrochen, es war beim Eintreffen der Feuerwehr aber bereits weitgehend erloschen und hatte sich auf einen Raum beschränkt. »Der Zustand der Räumlichkeiten ließ aber auf eine hohe Intensität schließen«, sagt Reicherter. »Es war eine enorme psychische Belastung auch für die Trupps, die da drin waren. Wir haben unsere psychologische Nachsorge alarmiert.«

Den insgesamt 61 Feuerwehrleuten und rund 40 weiteren Helfenden sei »der Schock ins Gesicht geschrieben« gewesen, sagte auch Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck. Der SPD-Politiker zeigte sich nach dem Brand ebenfalls erschüttert. »Die Betroffenheit geht weit in die Bürgerschaft hinein, es gibt viele Reaktionen, das Telefon steht nicht mehr still«, sagt er am Mittwochmorgen am Unglücksort. Als gebürtiger Reutlinger kenne er manche der Feuerwehrleute von klein auf. »Sie sagen mir, sie haben so etwas Schlimmes noch nie erlebt.«

In den Wohngruppen der sozialpsychiatrischen Pflegeeinrichtung leben jeweils sieben bis acht psychisch kranke Menschen wie eine Familie und mit eigenen Zimmern zusammen. Nach Angaben des ärztlichen Leiters des Heims handelt es sich um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe für Menschen, die mindestens 50 Jahre alt sind. Sie leben längerfristig dort, sind aber nach Angaben der Stadt vergleichsweise selbstständig.

Unklar ist nach dem Feuer noch die genaue Situation in der Wohngruppe zum Zeitpunkt des Brandes. Feuerwehr und Stadt geben an, es hätten neben dem Raum, in dem das Feuer ausgebrochen sei, »20 weitere Türen geöffnet« werden und weitere Räume durchsucht werden müssen. Da die Menschen in ihren eigenen Wohnungen wohnten, könnten sie diese auch abschließen, sagte der Reutlinger Oberbürgermeister.
»Da kommt nicht jeder rein, aber alle kommen raus. Das sind Fluchttüren, die sind alle unschwer von innen zu öffnen.« Nicht geklärt ist bislang, ob auch einzelne Zimmer abgeschlossen waren.

Die Stiftung Patientenschutz fordert in diesen Einrichtungen Generalschlüssel, die in einem Schlüsselsafe hinterlegt werden. Dieser müsse sich bei Auslösen einer aufgeschalteten Brandmeldeanlage automatisch öffnen. Außerdem müssten selbstständige Löschanlagen gesetzlicher Standard in den 13 000 deutschen Heimen werden, forderte der Stiftungsvorsitzende Eugen Brysch. Sprinkleranlagen seien in der Lage, sowohl Hilfsbedürftige als auch Mitarbeiter zu schützen. »Den meisten Bewohnern fehlt die Kraft, sich selbst zu retten«, sagte Brysch. Außerdem röchen sie im Schlaf den Brandrauch nicht.

Dem widersprach die Feuerwehr. »Eine Sprinkleranlage braucht auch eine gewisse Zeit, bis sie auslöse«, sagte Michael Reitter, Kommandant der Reutlinger Feuerwehr. »Bis dahin können sich Rauchgase bereits entwickelt haben.« Das Brandschutzkonzept sei gut gewesen, die Maßnahmen hätten gegriffen.

Dass es in Einrichtungen für psychisch Kranke brenne, sei nicht selten, sagt Gerhard Längle, Psychiater und Leiter der Reutlinger Einrichtung. Deshalb gebe es für solche Häuser auch hohe Brandschutzvorgaben und -kriterien, die im aktuellen Fall erst kürzlich überprüft worden seien. Längle ist noch sichtlich geschockt. Er wurde kurz nach Ausbruch des Brandes informiert - als er ankam, war die Feuerwehr schon vor Ort. »Schlichtweg eine Katastrophe«, nennt er den Brand. Die Rettungskräfte hätten ihm gesagt, dass sich das Feuer extrem schnell entwickelt habe.

Zum Zeitpunkt des Brandausbruchs befanden sich der Polizei zufolge 37 Bewohner und 5 Pflegekräfte in dem Gebäude. Der vom Brand betroffene Teil des Gebäudes sei nicht mehr bewohnbar. Die elf Leichtverletzten wurden nach Untersuchung und Behandlung in eine psychiatrische Klinik gebracht und dort betreut.

Informationen über das Pflegeheim

Mitteilung der Polizei (1.30 Uhr)

Mitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft (14.27 Uhr)

© dpa-infocom, dpa:230118-99-266555/5