Sozialminister Manne Lucha (Grüne) macht die Nutzung des Heidelberger Ex-Gefängnisses »Fauler Pelz« für die Therapie suchtkranker Straftäter zur Chefsache: Im Gemeinderat der Stadt will er am heutigen Donnerstagabend dafür werben, in dem landeseigenen Gebäudekomplex übergangsweise 80 Patienten aus dem Maßregelvollzug unterzubringen. Die Übergangslösung soll im Sommer 2025 auslaufen, wenn weitere Kapazitäten geschaffen worden sind. Die Stadt lehnt die Pläne ab und will den Ort für eine Nutzung der Universität vorhalten. Der Konflikt droht, vor Gericht ausgetragen zu werden.
Diese Eskalation will Lucha mit seinem Erscheinen im Gemeinderat verhindern, bevor dort über einen Vorschlag eines seiner erbittertsten Gegner, des Heidelberger Oberbürgermeisters Eckart Würzner, abgestimmt wird. Das parteilose Stadtoberhaupt will erwirken, dass der Bauantrag des Ministeriums zur Sanierung der Liegenschaften ein Jahr zurückgestellt wird - aus Sicht von Beobachtern der Todesstoß für das Projekt.
Die SPD-Fraktion hatte Lucha zur Gemeinderatssitzung eingeladen, in der Würzners Idee zur Abstimmung steht. Fraktionschefin Anke Schuster meint: »Es ist ein Akt der Höflichkeit, dass sich beide Seiten anhören.« Das Land hingegen habe die Stadträte links liegen gelassen. »Man hat der Universität den Schlüssel weggenommen und Waschbecken aus der Wand gerissen, ohne uns zu unterrichten.« Schuster will Lucha vor allem bei der Frage auf den Zahn fühlen, ob er Alternativen zum »Faulen Pelz« geprüft habe. »Baden-Württemberg ist groß - da muss es andere Möglichkeiten geben.«
Das 48-köpfige Gremium lehnt in einer gemeinsamen Stellungnahme die Pläne des Landes ab, weil sie eine »qualitätsvolle Stadtentwicklung im traditionellsten Stadtteil Heidelbergs behindern würden«. Der »Faule Pelz« solle künftig Raum für Arbeits- und Forschungsplätze der Uni bieten und den Bürgern offen stehen.
Aus Sicht von Lucha ist das kein Widerspruch. Es gehe ja nur um eine Zwischennutzung bis Sommer 2025, versichert er stets. Doch das nimmt ihm nicht jeder ab. Dass das Land das Gebäude mit elf Millionen Euro sanieren will, findet CDU-Fraktionschef Jan Gradel einen »Irrsinn« und dem Steuerzahler nicht vermittelbar. Die Stadträte sind auch wegen eines anderen Konfliktes zwischen Land und Stadt gebrannte Kinder. Viele fühlen sich daran erinnert, dass das Land ihnen 2015 versprochen hatte, das Ankunftszentrum für Flüchtlinge zeitlich begrenzt in der Kommune einzurichten. Aus der Übergangs- wurde eine Dauereinrichtung.
Lucha argumentiert auch mit Sicherheitsaspekten. Acht Zentren für Psychiatrie im Land sind zu einem Drittel überbelegt. Folge: In diesem Jahr sind schon 20 Straftäter vorzeitig auf freien Fuß gesetzt, weil sich nicht in angemessener Zeit ein Platz im Maßregelvollzug finden ließ. CDU-Mann Gradel sieht die Schuld dafür beim Minister: »Jetzt soll die Stadt bluten, weil er in den letzten Jahren seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.« Er fügt hinzu: »Wir wollen keinen Maßregelvollzug haben, das passt nicht in die Stadt.« Wenn das Land erstmal den Fuß in der Tür habe, gebe es keine rechtlichen Möglichkeiten mehr, den in Aussicht gestellten Abzug durchzusetzen: »Wir wären völlig auf den Good Will des Landes angewiesen.« Auch SPD-Frau Schuster fehlt der Glauben: »Ich kenne so viele Interimslösungen, deren 25-jähriges Bestehen gefeiert wurde.«
Gemäßigtere Töne kommen von Derek Cofie-Nunoo. Der Chef der größten Faktion, der Grünen, bekennt sich zur gemeinsamen Linie der Stadträte. Aber er werde sich von den Ideen des Parteifreundes überraschen lassen. »Es macht keinen Sinn, jemanden einzuladen und zu sagen, uns ist egal, was er sagt.« Er schließt nicht aus, dass man neue Ansätze diskutieren und überprüfen und deshalb das Votum verschieben müsse.
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