Bevor er zur Urteilsbegründung ansetzt, stellt Richter Günter Necker nochmal klar, dass es sich hier um ein »sehr ungewöhnliches Verfahren« handelt. Knapp eineinhalb Stunden wird er dann erzählen. Es geht an diesem Mittwoch vor dem Landgericht um Dokumente, die mit Hingabe gefälscht werden, um erfundene Personen, Unterschriften und Vermögenswerte. Es geht um ahnungslose Banken, die um viele Millionen Euro erleichtert werden. Um Treffen mit Kreditgebern in düsteren Hotelzimmern, in denen geschminkte Betrüger seriöse Geschäftsmänner mimen. Es geht um den dekadenten Lebensstil eines Hochstaplers, um Hubschrauberflüge und Jetskis und um eine Flucht nach Brasilien. Kurzum: Es geht um eine Geschichte, die so kuriose Züge trägt, dass sie verfilmt werden könnte.
Der Hauptdarsteller sitzt auf der Anklagebank, 59 Jahre alt, Lederjacke, Jeans, Lederschuhe. Als der Mann das Urteil hört, stützt er seinen kahlen Kopf in seine Hände, massiert seine Schläfen, blickt verkrampft auf den Tisch. Drei Jahre und sechs Monate Haft. Was war passiert?
Der gelernte Karosseriebauer aus Urbach im Rems-Murr-Kreis wollte Ende der 90er Jahre ein Möbelimperium aufbauen. Sein Traum: Eine Art »Aldi des Sanitärhandels« hochziehen und mit dem Vertrieb günstiger Badmöbel reich werden. Doch der Möchtegern-Möbelmogul wirtschaftet schlecht, gerät schon bald in die Miesen. Als er seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann, beschließt er, sich das Geld bei Banken zu holen - nicht mit Maske und Pistole, sondern mit gefälschten Unterlagen. Er gibt an, mit dem Geld die Firma ausbauen, Filialen eröffnen und Geschäftsanteile von Partnern übernehmen zu wollen. Mit frisierten Einkommensteuerbescheiden, Vermögensaufstellungen und Jahresbilanzen gaukelt er den Banken vor, kreditwürdig zu sein. So erschleicht er sich ein Millionen-Darlehen nach dem anderen.
Um die Bankberater zu täuschen, spielt er auf der kompletten Klaviatur des Hochstaplers - er erfindet Geschäftspartner, erzählt Märchen, fälscht Unterschriften, spielt den erfolgreichen Geschäftsmann, kommt zu Terminen mit dem Privathubschrauber. »Die Taten zeugen von erheblicher krimineller Energie, von einer Penetranz, die schon sehr ungewöhnlich ist«, sagt Necker. Der Richter spricht vom »Fälschen am Fließband«.
Und der Urbacher Geschäftsmann holt sich Komplizen zur Hilfe - ein Angestellter fälscht für ihn Dokumente, weil er Angst hat, seine Arbeit zu verlieren. Außerdem hilft dem Angeklagten ein Partner von einer Werbeagentur, der hofft, dass der Möbelhändler endlich seine Schulden begleicht, sobald er wieder flüssig ist. Die beiden Komplizen wurden bereits vor vielen Jahren zu Bewährungsstrafen wegen Beihilfe zum Betrug verurteilt.
Die meisten Banken fallen auf den Schwindel herein. Der Urbacher Geschäftsmann erleichtert die Geldhäuser um rund 6,5 Millionen Euro. Keiner kommt ihm auf die Schliche. Bis der Schwindler zu weit geht. Er will sich 3,5 Millionen Euro von einer österreichischen Privatbank leihen, legt wieder gefälschte Unterlagen vor. Doch die Bänker glauben ihm nicht, wollen einen Investoren, der angeblich für den Kredit bürgt, persönlich kennenlernen. Der Angeklagte arrangiert ein Treffen in einem Stuttgarter Nobelhotel - und bringt seinen Komplizen dazu, den Investor zu spielen. Sogar eine Maskenbildnerin wird organisiert, die ihn vor dem Treffen schminkt, damit er älter wirkt.
Doch die Performance in dem düsteren Hotelzimmer überzeugt die österreichischen Bankangestellten nicht. »Die schauspielerischen Talente schienen doch noch Luft nach oben zu haben«, sagte der Richter. Als die misstrauischen Kreditgeber den echten Investoren kontaktieren, fliegt der ganze Schwindel auf. Doch die Geschichte endet damit noch lange nicht. Denn der Urbacher flieht mit Lebensgefährtin und Kindern 2002 vor der Polizei nach Brasilien, wo er früher bereits lebte.
Er nimmt mindestens eine halbe Million Euro mit nach Südamerika, lebt ein luxuriöses Leben, kauft sich ein landwirtschaftliches Anwesen, Autos, Quads, Jetskis inklusive. 2003 wird er festgenommen, soll ausgeliefert werden - doch dann kommt ein Prozess wegen eines Tötungsdelikts in die Quere. Der Mann soll im Jahr 1990 seinen vierjährigen Stiefsohn »unter Anwendung grausamer Gewalt« in Brasilien vorsätzlich getötet haben, erzählt der Richter Necker. Die Hintergründe erfährt man dazu in dem Stuttgarter Betrugsverfahren nicht. Aber die Anklage in Brasilien führt dazu, dass der Mann für viele Jahre dort in Haft sitzt und erst 2021 ausgeliefert werden kann.
Nun endet die Geschichte mit einer weiteren Haftstrafe wegen Betrugs und Urkundenfälschung, die sich genau zwischen den Forderungen von Staatsanwaltschaft (drei Jahre, neun Monate) und Verteidigung (drei Jahre, drei Monate) befindet. Rechtswirksam ist das Urteil noch nicht.
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