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Land will Pandemie Ende April für beendet erklären

Nicht nur die FDP reibt sich die Augen: Die Regierung Kretschmann drängt Gesundheitsminister Lauterbach, nach Ostern das Ende der pandemischen Phase einzuläuten. Das hätte weitreichende Folgen.

Gesundheitsminister Lucha
Manfred Lucha (Bündnis 90/Die Grünen), Minister für Soziales und Integration von Baden-Württemberg. Foto: Christoph Schmidt
Manfred Lucha (Bündnis 90/Die Grünen), Minister für Soziales und Integration von Baden-Württemberg.
Foto: Christoph Schmidt

Baden-Württemberg will die Pandemie nach über zwei Jahren offiziell für beendet erklären. In einem Schreiben an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) forderte der Stuttgarter Sozialminister Manne Lucha (Grüne), der Bund solle Ende April den Wechsel von der pandemischen in die endemische Phase einläuten. Dann sei auch die Saison der Atemwegserkrankungen vorbei. Eine solche Entscheidung hätte weitreichende Folgen: Das Coronavirus würde wie das Grippevirus eingestuft. Es gäbe praktisch keine Tests und für positiv Getestete und Erkrankte keine vorgeschriebene Quarantäne mehr. Was dazu passt: Das Land fährt sein Impfangebot Ende nächster Woche wegen fehlender Nachfrage massiv herunter.

Lucha setzt nun auf Eigenverantwortung

Als Grund für ein baldiges Ausrufen der endemischen Phase führte Lucha an, die Gesundheitsämter hätten wegen der rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante keinen Einfluss mehr auf das Ausbruchsgeschehen. »Das Verhalten sollte vielmehr in die Eigenverantwortung gegeben werden, für Erkrankte gilt weiterhin die Aufforderung, zu Hause zu bleiben«, schreibt der Minister. Das Infektionsgeschehen werde dann vor allem mit Hilfe von Meldedaten der Ärzte überwacht.

Liberale wundern sich über »Gesinnungswandel«

Die FDP begrüßte den Vorstoß, zeigte sich aber verwundert: Während Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sich beim Bund beschwere, es fehlten die Instrumente im Kampf gegen die Pandemie, wolle Lucha das Coronavirus nun wie jedes andere Grippevirus behandeln, sagte Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke und fragte: »Ist bessere Erkenntnis oder schiere Resignation der Grund für den plötzlichen Gesinnungswandel?« Er forderte das Land auf, die Regeln für die Quarantäne selbst abzuschaffen, dazu brauche es den Bund nicht.

Mehr als 40.000 Neuinfektionen an einem Tag

Zuletzt hatte Kretschmann immer wieder betont, die Pandemie sei noch nicht zu Ende. Der Grünen-Politiker zeigte sich verärgert darüber, dass die Ampel-Bundesregierung nahezu alle Corona-Schutzmaßnahmen auslaufen lassen will. Er verwies dabei auf die hohen Inzidenzen. Zuletzt gab es im Südwesten über 40.000 Neuinfektionen an einem Tag, das entspricht einer 7-Tage-Inzidenz von über 1900. Allerdings sind die Intensivstationen der Kliniken bei weiten nicht mehr so belastet, weil die Covid-Erkrankung bei Omikron im Vergleich zur Deltavariante in der Regel milder verläuft.

Gesundheitsämter laufen nur noch hinterher

Wegen der hohen Dunkelziffer dürfte die Inzidenz im Südwesten deutlich höher liegen. Das liegt daran, dass die Gesundheitsämter nicht mehr hinterherkommen. Bisher sei es so, dass Kontaktpersonen die Infektion oft schon weitergegeben hätten, bevor ihr Status bekannt werde und die Quarantäne greifen könne, erklärte Lucha. »Derzeit werden durch die Gesundheitsämter mit enormem Aufwand vielfach Meldedaten asymptomatischer Personen erfasst sowie Mehrfachmeldungen durch «Freitestversuche» symptomatischer Personen - aus denen keine weiteren Maßnahmen folgen und die das Infektionsgeschehen zudem zunehmend unzureichend abbilden.«

Zudem seien viele Menschen als Geimpfte oder Genesene von einer Quarantäne befreit. Wenn die Gesundheitsämter von diesen überflüssigen Aufgaben entlastet würden, könnten sie sich darauf konzentrieren, Pflegeheime und Krankenhäuser zu beraten, um größere Ausbrüche zu vermeiden oder besser unter Kontrolle zu bringen, erklärte Lucha.

Landkreise wollen »Datenfriedhöfe« vermeiden

Unterstützung erhielt der Minister auch vom Landkreistag. »Es ist wichtig und notwendig, die Berliner Politik mit den fachlichen Realitäten von vor Ort zu konfrontieren«, sagte Präsident Joachim Walter. »So macht es beispielsweise keinen Sinn, durch die tausendfache Meldung von positiven Testergebnissen beim Robert Koch-Institut Datenfriedhöfe zu schaffen, ohne dass daraus irgendwelche Konsequenzen gezogen werden.«

Impfangebot wird vorläufig stark eingedampft

Das Impfangebot soll Ende nächster Woche wegen fehlender Nachfrage massiv heruntergefahren werden. Zunächst soll es ab 1. April nur noch ein mobiles Impfteam und einen Stützpunkt pro Stadt- und Landkreis geben. Nach den Fraktionen von Grünen und CDU stimmte auch die Regierung dem Vorschlag des Sozialministeriums zu. Bisher hatte es etwa 350 mobile Teams und 135 Impfstützpunkte gegeben, die vom Land finanziert wurden. Die Koalition ist überzeugt, dass es mit der verbleibenden Struktur möglich sei, flexibel zu reagieren, wenn sich die Pandemie dramatisch zuspitzen sollte.

Mit dem verschlankten Impfkonzept will die Regierung die enormen Kosten drücken. Das neue Konzept soll bis Ende September knapp 55 Millionen Euro kosten. Das Geld soll aus der Rücklage für Haushaltsrisiken kommen. Das Impfen und Testen hat das Land im vergangenen Jahr mehrere Hundertmillionen Euro gekostet.

© dpa-infocom, dpa:220324-99-654966/4