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Land verlängert Modellversuch zu Abitur nach neun Jahren

Anders als in Bayern bleibt es im Südwesten dabei: Das Turbo-Abitur nach acht Jahren ist weiter die Regel und das neunjährige Gymnasium die Ausnahme. Die Linie ist durchaus umstritten, wie erste Reaktionen zeigen.

Theresa Schopper
Theresa Schopper (Bündnis 90/Die Grünen) nimmt an einer Plenarsitzung im Landtag von Baden-Württemberg teil. Foto: Marijan Murat
Theresa Schopper (Bündnis 90/Die Grünen) nimmt an einer Plenarsitzung im Landtag von Baden-Württemberg teil.
Foto: Marijan Murat

Baden-Württemberg hält am Abitur nach acht Jahren grundsätzlich fest und verlängert den Modellversuch mit den 43 Gymnasien, die den Abschluss nach neun Jahren anbieten. Das bestätigte Kultusministerin Theresa Schopper der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. »Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, keine Strukturdebatten zu führen. G8 bleibt also die Regelform«, erklärte die Grünen-Politikerin. »Aber um auch die bestehenden Optionen für die Schülerinnen und Schüler zum Erreichen der Allgemeinen Hochschulreife zu erhalten, wollen wir den Modellversuch G9 fortführen.« Dieser trage dazu bei, ein passendes Angebot für verschiedene Wege zum Abitur zu ermöglichen. Das Vorgehen ist mit den Fraktionsvorsitzenden von Grünen und CDU, Andreas Schwarz und Manuel Hagel, abgestimmt. Kritik an dem Kurs kam aus der Opposition.

Der Modellversuch wurde im Schuljahr 2012/2013 unter Grün-Rot eingeführt und soll um fünf Jahre verlängert werden. Kultusministerin Schopper hielt den Kritikern des sogenannten Turbo-Abiturs nach acht Jahren entgegen, es gebe genügend Wahlmöglichkeiten: »Wir haben in Baden-Württemberg ein flächendeckendes Angebot, um in neun Jahren zum Abitur zu gelangen.« Allein an 223 beruflichen Gymnasien sei dies möglich, hinzu kommen noch neun Gemeinschaftsschulen mit gymnasialer Oberstufe. Auch an den mehr als 50 Waldorfschulen im Land machen die Schülerinnen und Schüler in der Regel ihr Abitur nach neun Jahren.

Die 43 allgemeinbildenden Modell-Gymnasien sind auf fast alle 44 Stadt- und Landkreise im Südwesten verteilt. Ursprünglich waren es 44, doch ein Gymnasium in Mannheim entschied schon 2018, wieder komplett auf G8 umzustellen.

Grüne und CDU hatten sich schon bei den Koalitionsverhandlungen darauf verständigt, an bestehenden Schulformen festhalten zu wollen. Es gibt aber immer wieder Kritik an G8 - etwa vom Landeselternbeirat, weil es vielen Schülerinnen und Schülern großen Stress bereite, schon nach acht Jahren das Abitur abzulegen. Vor allem in der Corona-Krise hieß es immer wieder, viele Jugendliche hätten Lernlücken und bräuchten mehr Zeit. Schopper verwies dagegen mehrfach darauf, dass die Rückmeldungen aus den Schulen und auch die Noten ein anderes Bild ergäben. Für Schülerinnen und Schüler mit Lücken habe man zudem Programme wie »Lernen mit Rückenwind« aufgelegt.

Eigentlich wäre der Modellversuch mit den 43 Gymnasien erst im Sommer 2023 ausgelaufen. Schopper will dem Vernehmen nach die Verlängerung aber schon am 13. September ins Kabinett bringen, damit sich die Schulen, Eltern und Schülerinnen und Schüler rechtzeitig darauf einstellen können.

Kritik kam aus der Opposition im Stuttgarter Landtag. Er habe deutlich mehr erwartet, erklärte Stefan Fulst-Blei, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion am Sonntag. Schopper schiebe eine dringende Entscheidung »einfach vor sich her«, kritisierte er. »Diese Koalition des Stillstands kommt auch in der Bildungspolitik keinen Meter voran«, bemängelte der SPD-Politiker mit Blick auf Grün-Schwarz.

Die Bildungsgewerkschaft GEW teilte mit, sie halte die Verlängerung des Modellversuches für nicht ausreichend. »Die Diskussion darf nicht auf G8 oder G9 reduziert werden«, sagte die Landesvorsitzende Monika Stein. »Wir setzen uns dafür ein, dass flexibel geregelt werden kann, ob die Oberstufe in zwei oder drei Jahren absolviert werden kann.« Stein forderte mehr Qualifizierungsangebote für Lehrkräfte. »Die Bildungspläne müssen überarbeitet werden und die Themen Studierfähigkeit und Berufsorientierung brauchen mehr Platz im Alltag in den Klassenzimmern«, sagte sie. Eine breite Rückkehr zu G9 würde den unterschiedlichen Bedingungen an den Schulen nicht gerecht, auch habe niemand bisher sagen können, wie dies finanziert werden könnte, so Stein.

Der Philologenverband Baden-Württemberg begrüßte, dass das Kultusministerium nun Planungssicherheit für die G9-Versuchsgymnasien geschaffen habe. Der Verband forderte das Ministerium aber gleichzeitig in deutlicher Weise auf, auf die Eltern einzugehen. Er zitierte aus einer Forsa-Umfrage aus dem Februar, wonach 62 Prozent aller Eltern im Südwesten ausschließlich G9 am Gymnasium haben wollten. »Schaffen Sie schnellstens das unbeliebte «G8 für alle» am allgemeinbildenden Gymnasium ab, so, wie das alle anderen Flächenländer im Westen bereits getan haben!«, appellierte der Verband an das Ministerium.

Im Kampf gegen den Klimawandel und seine Auswirkungen setzt die Landesregierung auf eine sogenannte nachhaltige Bildung. Die Regierung wolle dazu eine Gesamtstrategie auflegen und bisherige Angebote intensivieren und vernetzen, berichteten die Tageszeitungen »Stuttgarter Zeitung« und »Stuttgarter Nachrichten« (Montag) unter Berufung auf eine Kabinettsvorlage. Schopper und Umweltministerin Thekla Walker wollen die Strategie demnach voraussichtlich in der Kabinettssitzung am 13. September vorstellen.

© dpa-infocom, dpa:220904-99-624217/3