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Kritik an Inzidenz als alleinigem Wert für Lockerungen

Der Besuch im Biergarten, Einkaufen, ein Treffen mit mehreren Freunden - all das hängt von der Sieben-Tage-Inzidenz ab. Dass dieser Wert für Öffnungen ausschlaggebend ist, ruft vermehrt Kritik hervor. Das hat auch mit der Zunahme der Corona-Impfungen zu tun.

Foto: Axel Heimken/Symbolbild
Foto: Axel Heimken/Symbolbild

STUTTGART/ULM. Mit der Zunahme der Corona-Impfungen gibt es vermehrt Kritik an der Sieben-Tage-Inzidenz als ausschlaggebendes Maß für Einschränkungen oder Lockerungen. Der Epidemiologe Dietrich Rothenbacher von der Universität Ulm bezeichnete die Sieben-Tage-Inzidenz als »sehr grobe Ausrichtung«, in der die Besonderheiten der Pandemie und auch die besondere Bedrohungslage nicht optimal abgebildet würden.

Je höher der Anteil der Geimpften in einer Bevölkerungsgruppe, desto geringer sei die Gefahr für schwere Verläufe und Sterbefälle und die weitere Verbreitung des Virus, sagte das Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie. Dies spiegele sich aber in einer Gesamtinzidenz nicht wieder, sondern nur in altersspezifischen Inzidenzen.

Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz bezeichnet die Zahl der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Sie ist ausschlaggebend für Lockerungen oder Einschränkungen zur Eindämmung der Pandemie. Mit der Bundes-Notbremse sind erst ab einem Wert von stabil unter 100 Lockerungen in den Stadt- und Landkreisen vorgesehen. Für private Treffen gelten sonst strenge Kontaktbeschränkungen, der Handel muss weitgehend geschlossen bleiben. Liegt der Wert über 165, dürfen Schülerinnen und Schüler nur von zu Hause lernen und Kitas und Kindergärten bleiben geschlossen.

Der Epidemiologe spricht sich deshalb dafür aus, mehrere weitere Kennzahlen einzubeziehen: So solle etwa die Zahl der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche regional und nach Altersgruppen aufgeschlüsselt werden. Auch der Anteil der positiven Tests an allen Testungen in den unterschiedlichen Altersgruppen sollte aus Sicht Rothenbachers in die Bewertung der Bedrohungslage einfließen. Ebenso die Zahl der Covid-Intensivpatienten aufgeschlüsselt nach Alter.

Zuvor hatte sich etwa auch der Epidemiologe Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig kritisch zur Sieben-Tage-Inzidenz geäußert. Er sprach sich dafür aus, künftig stärker auf die Entwicklung der Covid-19-Neuaufnahmen auf den Intensivstationen zu blicken. Dies werde der Situation am ehesten gerecht, wenn man sich denn auf nur einen Messwert beschränken müsse.

Das baden-württembergische Sozialministerium sieht dagegen keinen Anlass, für Öffnungsschritte weitere Kennzahlen heranzuziehen. Ein Sprecher des Ministeriums betonte, Grundlage hierfür sei die Sieben-Tage-Inzidenz. Es sei aber nicht auszuschließen, dass bei neuen Entwicklungen neue Indikatoren für Lockerungen hinzukämen. Dies könne etwa durch neue Mutationen der Fall sein, durch die Impfstoffe dann plötzlich angepasst werden müssten. Zudem verwies der Sprecher auf Lockerungen für Geimpfte, für die es bereits zusätzliche Erleichterungen gebe, etwa bei der Einreise und Quarantäne. (dpa)