Die sogenannten »Kandidat-O-Maten« für die Oberbürgermeisterwahlen in Heidelberg und Tübingen erhitzen seit Wochen die Gemüter - doch trotz aller Kritik sollen sie nun im Oktober online gehen. Es handelt sich dabei um ein Angebot im Internet, bei dem der Nutzer anhand der Beantwortung von 20 bis 30 Fragen herausfinden kann, welcher Bewerber seine Interessen am ehesten vertritt. Das Kuratorium der zuständigen Landeszentrale für politische Bildung habe einstimmig für den grundsätzlichen Erhalt der digitalen Entscheidungshilfe votiert, teilte der Vorsitzende des Gremiums, Thomas Poreski, am Mittwoch in Stuttgart mit.
Wegen starker Kritik war zuletzt unklar gewesen, ob die »Kandidat-O-Maten« wirklich an den Start gehen. Entwickelt hat die beiden Checks die Landeszentrale für politische Bildung (LpB). Vorbild ist der »Wahl-O-Mat«, den es auf Bundesebene beispielsweise vor Bundestagswahlen gibt.
Die beiden zur Wiederwahl angetretenen Amtsinhaber, Boris Palmer (unabhängig) in Tübingen und Eckart Würzner (parteilos) in Heidelberg, hatten das Online-Tool angezweifelt. Aus ihrer Sicht kamen darin irrelevante Fragen und rechtlich nicht zulässige Thesen vor. Außerdem kritisierte Würzner eine mangelnde Neutralität.
»Wir haben uns mit der vielschichtigen Kritik auseinandergesetzt, Thesen weiterentwickelt oder auch korrigiert«, sagt LpB-Co-Direktorin Sibylle Thelen in Stuttgart. Und auch für künftige Wahlen will die Landeszentrale für politische Bildung das Instrument überarbeiten: Laut Poreski muss man sich etwa mit der Frage auseinandersetzen, was dem Nutzer noch an vertiefenden Informationen angeboten werden kann. Schon jetzt können die Kandidaten 300 Zeichen zur Begründung ihrer Antworten hinzufügen. Auch ein Abweichen von schematischen Ja-Nein-Antworten hin zu differenzierteren Bewertungen sei nicht ausgeschlossen, sagte Poreski, der Vize-Chef der Grünen im Landtag ist.
In Tübingen hatte die Landeszentrale für politische Bildung das Projekt nach massiven Beschwerden Palmers zwischenzeitlich schon beerdigt, aber auf Bitten von Bewerbern und Bewerberinnen hin doch noch auf Basis eines grundlegend überarbeiteten Fragenkatalogs ermöglicht. Vom 1. Oktober an steht in Tübingen das Online-Tool für die Wahl am 23. Oktober zur Verfügung, am 15. Oktober in Heidelberg für die Wahl am 6. November.
In Tübingen hatte Palmer fast 50 Prozent der Fragen wegen falscher Sachverhalte oder Unkenntnis der Beschlusslage in der Stadt moniert. So wurde gefragt, ob Tübingen dem Aktionsbündnis »Seebrücke« beitreten soll - die Stadt ist aber schon seit drei Jahren Mitglied. »Wo er Recht hatte, hatte er Recht«, gibt Thelen zu. Die Landeszentrale für politische Bildung sei für die Qualität der Fragen verantwortlich und müsse künftig »genauer drauf schauen«.
Die Fassung nach einer Revision befand Palmer als ausreichend ausgewogen und korrekt, um sie zu beantworten. Trotzdem äußerte er Bedenken. »Ob die bewährten Prinzipien des «Wahl-O-Mats» der Bundeszentrale für politische Bildung auf OB-Wahlen übertragen werden können, erscheint mir zweifelhaft.« So gebe es - anders als etwa vor einer Bundestagswahl - keine von Parteitagen beschlossenen Wahlprogramme, auf die man aufbauen könne.
Heidelbergs Stadtoberhaupt Würzner ist vor allem ein Dorn im Auge, dass fast nur junge Leute die Thesen formuliert haben. Der Vater von vier Kindern hätte sich eine breitere Beteiligung gewünscht. Die LpB will diesen Vorschlag in die interne Bilanz aufnehmen.
Nach Würzners Einschätzung spielen Wirtschaft und deren Förderung im Fragenkatalog bislang so gut wie gar keine Rolle. Hingegen nähmen gesellschaftliche Themen wie »fleischloses Essen« unverhältnismäßig viel Raum ein. »Das hat für mich mit Ausgewogenheit und Neutralität nichts mehr zu tun«, schimpft er in einem offenen Brief. Thelen weist dies mit dem Hinweis auf Fragen zu Gastronomie und Tourismus zurück.
Würzner sieht auch mangelnde Neutralität bei der Behandlung der Kandidaten. Seine Konkurrenten, Ex-Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) und der SPD-Bewerber Sören Michelsburg, hätten Änderungswünsche anbringen können und damit den »Kandidat-O-Maten« beeinflusst. Thelen betonte, allen Kandidaten sei mit der Zustellung eine Rückmeldung angeboten worden, was aber nur zwei angenommen hätten.
Völlig unangebracht findet Würzner die Frage, ob in Heidelberg alle Menschen in städtischen Schwimmbädern »oben ohne« baden dürfen. Es bestehe kein Zusammenhang zu den Zukunftsthemen der Stadt. »Das ist doch kein Spaß. Es geht doch um etwas«, schreibt Würzner in dem offenen Brief. Diese Kritik wiederum lässt Thelen kalt - die Frage beschäftige junge Menschen eben.
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