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Im nächsten Schuljahr droht mehr Unterrichtsausfall

Krisenbewältigung scheint das neue Hauptfach an den Schulen zu sein: Erst Corona, dann die Aufnahme von über 20.000 geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine. Doch die eigentliche Krise ist hausgemacht: Der Lehrermangel.

Schule
Ein Lehrer steht im Unterricht an der Tafel. Foto: Marijan Murat
Ein Lehrer steht im Unterricht an der Tafel.
Foto: Marijan Murat

Hiobsbotschaft vor dem letzten Schultag: Der Lehrermangel im Südwesten wird sich im nächsten Schuljahr aus Sicht der Bildungsgewerkschaft GEW und der SPD-Opposition noch weiter verschärfen. Die Einstellungszahlen des Kultusministeriums zeigten, dass voraussichtlich mehrere hundert Stellen unbesetzt blieben, sagte GEW-Landeschefin Monika Stein der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Besonders an den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) und bei der Inklusion fehlten immer mehr Lehrkräfte. Auch viele Berufliche Schulen, Grundschulen und Schulen der Sekundarstufe 1 würden absehbar mit zu wenig Personal ins Schuljahr starten. Das bedeute, dass sich Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern auf mehr Unterrichtsausfall einstellen müssten.

Stein sagte dazu: »Es ist für die 130.000 Lehrkräfte an den 4500 Schulen frustrierend, dass sie auch im nächsten Schuljahr jonglieren müssen, um den Pflichtunterricht einigermaßen sicherzustellen.« Das sei besonders ärgerlich, weil die Situation im Unterschied zur Corona-Krise oder dem Ukraine-Krieg vorhersehbar gewesen sei. Hätte die grün-geführte Landesregierung 2012 die vorliegenden Zahlen des Statischen Landesamtes ernst genommen und ausreichend Studienplätze geschaffen, könnten jetzt alle Stellen besetzt werden, so die Kritik. »Wir erwarten, dass die grün-schwarze Landesregierung endlich den Ernst der Lage in Kitas und Schulen begreift und mit den notwendigen Investitionen im nächsten Landeshaushalt reagiert.«

Auch der SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei sagte: »Es wird Zeit, dass die Landesregierung endlich konkrete Konzepte zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels vorlegt.« Bei den vergangenen Etatverhandlungen habe man der »eigenen Kultusministerin nicht einmal den dringend erforderlichen Ausbau der Krankheitsvertretungsreserve gewährt«. Die Folgen seien eine Überlastung der Lehrkräfte und Unterrichtsausfall über alle Schularten hinweg. »Grün-Schwarz muss sich endlich an die eigene Nase fassen und die Studienplätze im Lehramt ausbauen, die Krankheitsvertretungsreserve aufstocken, mehr multiprofessionelle Teams an unseren Schulen aufbauen und befristete Lehrkräfte über die Sommerferien weiter beschäftigen.«

Das Kultusministerium zeigte Verständnis für die Kritik, wies den Vorwurf einer Verschlechterung der Lage aber zurück. »Wir wissen, dass wir im kommenden Schuljahr, was die Lehrkräfteversorgung angeht, wieder einmal vor einer Herausforderung stehen«, teilte ein Sprecher am Dienstag mit. Gründe seien etwa die Beschränkungen beim Einsatz von schwangeren Lehrerinnen in Präsenz und dass die Zahl der ukrainischen Schüler wohl zunehmen werde.

Zugleich betonte der Sprecher, dass bereits mehr als 4000 Lehrerinnen und Lehrer für das neue Schuljahr gebunden werden konnten. Die Einstellungszahlen bewegten sich damit in der Größenordnung wie im vergangenen Jahr. Zudem würden auch weiterhin und bis nach Schuljahresbeginn noch Lehrkräfte eingestellt.

Stein erklärte, die Gymnasien seien die einzige Schulart, in der fast alle Stellen besetzt werden konnten - bis auf bestimmte Mangelfächer. Stein beklagte, dass die ständige Vertretungsreserve mit 1945 Stellen viel zu klein sei, denn es gebe 5000 bis 7000 dauerhaften Ausfälle. Schon am ersten Schultag seien alle Vertretungskräfte eingeplant. »Da kaum weitere Personen auf dem Arbeitsmarkt sind, die kurzfristig für Vertretungen gewonnen werden können, bedeutet jeder weitere Ausfall, dass Klassen zusammengelegt werden müssen oder Unterricht ausfällt.«

In den SBBZ gab es demnach auf etwa 591 Stellen für Sonderpädagoginnen und -Pädagogen nur 401 Bewerbungen. Auch bei den sonderpädagogischen Fachlehrkräften kamen auf 137 freie Stellen nur 13 Bewerbungen. Schon in diesem Schuljahr seien hier 12 Prozent der Stellen nicht besetzt gewesen, die Quote werde sich noch erhöhen. Bei der Grundschulen gab es demnach 1205 Bewerbungen für 1267 Stellen. Für Haupt-, Werkreal-, Real- und Gemeinschaftsschulen bewarben sich 1030 Personen für 1099 freie Stellen. An den beruflichen Schulen seien zwar einige Gymnasiallehrkräfte eingestellt worden, das Unterrichtsdefizit sei aber seit Jahren groß.

Stein zeigte kein Verständnis für die Herangehensweise der Landesregierung. »Wenn ein Autohersteller ein neues Modell einführt, baut er neue Fabriken und stellt Tausende Menschen ein.« Obwohl die Schülerzahlen stiegen und neue Projekte wie der Ganztagsausbau in der Grundschule anstünden, »will die Landesregierung immer wieder vorhandene Ressourcen umlenken statt mutig zu investieren«. Das werde nicht funktionieren. »Wer an der Bildung spart, bekommt auch keine Zinsen«, warnte die Gewerkschafterin.

© dpa-infocom, dpa:220726-99-155765/4