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»Gefahr für Demokratie«: Kretschmann will AfD härter angehen

Bekämpfen oder ignorieren? Seit es die AfD gibt, ringen die etablierten Parteien um dem richtigen Umgang mit den Rechtspopulisten. Ministerpräsident Kretschmann will nun auf eine härtere Gangart umschwenken. Empörung reiche nicht, sagt er.

Winfried Kretschmann nimmt an einer Pressekonferenz teil
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) nimmt an einer Regierungs-Pressekonferenz teil. Foto: Marijan Murat/dpa/Archivbild
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) nimmt an einer Regierungs-Pressekonferenz teil. Foto: Marijan Murat/dpa/Archivbild

Stuttgart (dpa) - Nach dem politischen Beben in Thüringen hat der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) der AfD vorgeworfen, die Demokratie zerstören zu wollen. »Ich fürchte, das Ansehen der demokratischen Parteien hat durch das Verhalten von CDU und FDP in Thüringen insgesamt Schaden genommen«, sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. »Und das ist genau das, was die AfD anstrebt. Sie hat einen Plan, einen perfiden Plan, und verfolgt diesen durchaus strategisch und planvoll: die Zerrüttung des politischen Systems und eine Unterhöhlung der Demokratie.«

»Eine Partei, die die Wissenschaft bekämpft, die freie Presse und vieles andere mehr, ist eine echte Gefahr für die Demokratie«, sagte Kretschmann. »Mit einer solchen Partei paktiert man nicht, man lässt sich auch nicht von ihr wählen. Es war ein katastrophaler Fehler von Herrn Kemmerich, die Wahl anzunehmen.«

Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich war am Mittwoch völlig überraschend mit Stimmen von CDU, FDP und maßgeblich von der AfD zum Regierungschef in Thüringen gewählt worden. Es war das erste Mal, dass die AfD einem Ministerpräsidenten ins Amt half - dies löste ein bundesweites, politisches Beben und einen Proteststurm aus. Kemmerich kündigte daraufhin am Donnerstag seinen Rückzug an, gab aber formelle Gründe an, weshalb dies nicht sofort geschehen könne. Am Samstag erklärte er schließlich doch seinen sofortigen Rücktritt.

Auch der Freiburger Politikwissenschaftler Ulrich Eith betrachtet die AfD als Gefahr für die Demokratie. »Thüringen hat gezeigt, dass sie den notwendigen Respekt vor den demokratischen Spielregeln vermissen lässt«, sagte er. »Und genau das untergräbt die Fundamente unserer Demokratie.« Er sehe zwar noch keine Weimarer Verhältnisse. »Aber die Entwicklungen zeigen Ähnlichkeit, was das Ausfransen des Parteiensystems angeht.« Die demokratischen Parteien müssten ihre Haltung zur AfD klären, sagte Eith. Darauf hätten die Wähler Anspruch. »Es gibt in der Union und FDP auch Stimmen, die durchaus für eine thematische Kooperation plädieren.«

Baden-Württembergs FDP-Landeschef Michael Theurer teilte am Sonntag mit: »Solange Hans-Ulrich Rülke und ich in diesem Landesverband etwas zu sagen haben, wird es keine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD in Baden-Württemberg geben.« Rülke ist Landtagsfraktionschef in Stuttgart. »Wir werden die AfD und deren völkisch-nationalistische Politik im aufziehenden Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg knallhart bekämpfen«, sagte Theurer.

Kretschmann meinte: »Das Anwachsen der AfD im Osten, aber auch das neue Aufflackern von Antisemitismus hat uns alle tief beunruhigt und die demokratischen Parteien nochmal richtig aufgerüttelt.« Er kündigte einen offensiveren Kurs gegen die AfD an. »Bisher haben wir uns immer nur empört«, sagte er. »Aber wir merken: Mit der Empörung dämmen wir das nicht ein.« Den Menschen müssten Wege zur Orientierung aufgezeigt werden in einer Welt im dramatischen Wandel. Und es müsse ihnen deutlich gemacht werden, dass man die Welt der sechziger Jahre nicht mehr herstellen könne. »Das Anwachsen der AfD werden wir nur verhindern, indem wir die Menschen, die sie bisher noch nicht gewählt haben, aber damit liebäugeln, davon überzeugen, weiterhin nicht die AfD zu wählen.«

Man müsse entschiedener und erfolgreicher im Kampf gegen den Rechtspopulismus vorgehen. »Jetzt muss man wirklich wieder argumentativ kämpfen, indem man deutlich macht, dass Nationalismus und völkisches Denken den Grundlagen einer modernen Republik widersprechen.« Die AfD habe Tabus gebrochen, die zu Recht bestanden. »Man musste in Deutschland niemanden mehr erklären, dass völkisches Denken in den Abgrund führt. Das war im kollektiven Gedächtnis. Aber jetzt muss man es wieder machen, weil die Rechtspopulisten auf der Erfolgsspur sind.«

Kretschmann hatte die AfD bereits Mitte Dezember mit einem scharfen Redebeitrag im Landtag konfrontiert und ihr abgesprochen, eine bürgerliche Partei zu sein. Dabei ging es um den Klimawandel und dessen Leugnung. »Sie legen die Axt an eine freie Gesellschaft«, hatte er der AfD vorgeworfen - ein ungewöhnlich direkter Angriff. Für seine Worte erntete Kretschmann viel Applaus von Grünen, CDU, SPD und FDP. »Ich gehe nicht davon aus, dass ich durch meine Reden im Landtag die AfD-Abgeordneten überzeuge«, sagte Kretschmann nun. »Aber man kann sie immerhin verunsichern.«

»Wir freuen uns auf die inhaltliche Auseinandersetzung«, antwortete AfD-Landeschef Bernd Gögel auf die Ankündigung Kretschmanns, sie stärker inhaltlich stellen zu wollen. Die AfD nehme das als Angebot, nicht als Drohung. »Aber in dem Moment, wo er von Demokratiefeindlichkeit spricht, geht er weg von der inhaltlichen Auseinandersetzung hin zu Polemik und Ausgrenzung«, sagte Gögel. »Die Politik der Altparteien führt zur Spaltung dieser Gesellschaft.«

Auch Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) fordert ein neues Vorgehen gegen die AfD. »Wir müssen endlich aufhören mit der Empörung. Das hilft niemandem. Im Gegenteil. Man kann die AfD nicht ignorieren, man muss sich mit ihren Inhalten auseinandersetzen.« Aras schließt ein politisches Beben wie in Thüringen für Baden-Württemberg nicht aus. »Das ist nicht nur ein Problem des Ostens. Das kann auch in unserem Land passieren. Es ist wirklich ernst«, sagte sie. »Wir brauchen eine ehrliche Abgrenzung zum völkisch-nationalen Denken«, sagte sie. »Ich wünsche mir einen stärkeren Schulterschluss aller anderen Parteien.«

Landesregierung Baden-Württemberg