Der Leiter der Fischereiforschungsstelle, Alexander Brinker, glaubt nicht an einen sicheren Erfolg des Felchenfangverbots am Bodensee. »Die Maßnahmen sind richtig und alternativlos, aber eine Garantie für ein Gelingen gibt es nicht«, sagte Brinker der Deutschen Presse-Agentur. Theoretisch könnten sich die Felchen von einem Bestandszusammenbruch gut erholen, weil sie viele Nachkommen zeugen können. Diese habe die Vergangenheit schon gezeigt. »Aber die Bedingungen im See müssen dafür stimmen und diese sind heute leider stark verändert.«
Weil den Fischern immer seltener Felchen ins Netz gegangen sind, haben Bayern, Baden-Württemberg, Österreich und die Schweiz bei einer internationalen Konferenz im Juni eine dreijährige Schonzeit für Felchen ab 2024 beschlossen. Der Ertrag war 2022 auf etwas über 20 Tonnen zusammengebrochen. 2021 gingen einem Bericht nach rund 107 Tonnen Felchen ins Netz. Einen derartigen Ertragsrückgang habe auch Fischereiforschungsstelle nicht kommen sehen, sagte Brinker. »Wir waren alle zutiefst erschrocken.«
Der Bodensee habe sich seit 1999 dramatisch verändert. »Als ich hier angekommen bin, war der See ein vergleichsweise produktives Gewässer und hat ziemlich große Mengen an Felchen und Barschen geliefert.« Nahezu die komplette Nachfrage nach heimischem Fisch in der Region sei gedeckt worden. Im Kampf gegen eine Überdüngung des Sees seien ihm zunächst durch seeweit abgestimmte Reinhaltemaßnahmen immer weniger Nährstoffe zugeführt worden, was in den 2010er Jahre zu einem ersten starken Ertragsrückgang geführt habe.
Der Stichling sei als weiterer Stressfaktor für Felchen dazu gekommen. »Eine Kleinfischart, die 2012 von einem auf den anderen Tag das Freiwasser, also den Hauptwasserkörper des Bodensees und Lebensraum der Felchen bevölkert hat und dort mittlerweile mehr als 90 Prozent der Fische ausmacht.« Der Stichling bedrohe die Felchen auf zwei Arten. Einerseits trete er als direkter Nahrungskonkurrenz auf, andererseits gebe es Hinweise, dass er die Eier und Larven der Felchen fresse.
»Nicht nur für die Felchen hat er das Ökosystem auf den Kopf gestellt«, erklärte Brinker. Mit Schleppnetzen sollen sie im kommenden Jahr bei einem Pilotversuch aus dem See geholt werden. Die Federführung für das Projekt liege in Bayern.
Um das Verhalten des kleinen silbernen Stichlings besser zu verstehen, wird er in der Fischereiforschungsstelle genau untersucht. Im Rahmen seiner Masterarbeit befasst sich Tobias Zeidler von der TU München mit dem Paarungsverhalten der einstigen Aquariumsfische. »Ich schaue mir an, ob die Stichlinge zwischen Ufer- und Freiwasserfischen bei der Paarung unterscheiden«, so der Ingenieurökologie-Student.
Aus biologischer Sicht sei der Stichling spannend, weil er zum Beispiel ein breites Verhaltensrepertoire habe, so Brinker. »Die Stichlingsmännchen bauen das Nest und sorgen für den Nachwuchs.« Um die Weibchen von sich zu überzeugen, müssten sie nicht nur toll gefärbt sein und einen sehr aufwendigen Tanz vollführen, sondern auch das erbaute Nest muss den hohen Anforderungen der Weibchen genügen.
Der Fisch sei sehr anpassungsfähig und nicht nur im Süßwasser, sondern auch im Salzwasser zu finden. Er habe nahezu die ganze Nordhalbkugel besiedelt. Das Verhalten am Bodensee sei aber gar nicht typisch für den Stichling. Er sei eigentlich ein Uferfisch, im Bodensee dominiere er aber das offene Wasser. Die Frage sei nun: »Was hat das bewirkt und können wir etwas dagegen tun?« Und: »Gibt es schon eine genetische Anpassung zwischen Freiwasser- und Uferstichling?« Solchen Fragen gehe man aktuell in der Fischereiforschungsstelle in Forschungsprojekten nach.
Informationen zur Fischereiforschungsstelle Langenargen
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