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Der Inspekteur und die Polizistin: Sex-Skandal vor Gericht

Es geht um Macht, um Sex und einen folgenreichen Kneipenbesuch: Der Prozess gegen den höchstrangigen Polizisten des Landes hat begonnen. Der wehrt sich heftig gegen die Vorwürfe.

Gerichtsbank
Ein Schild mit der Aufschrift »Angeklagter« wird auf die Gerichtsbank gestellt. Foto: Arne Dedert
Ein Schild mit der Aufschrift »Angeklagter« wird auf die Gerichtsbank gestellt.
Foto: Arne Dedert

Was in dieser Nacht im November 2021 in und um eine Eckkneipe in Bad Cannstatt geschehen ist, darüber gibt es zwei völlig unterschiedliche Versionen. Die eine stellt den höchstrangigen Polizisten des Landes als übergriffigen Mann mit schmutzigen Fantasien dar, als einen Typen, der seine Machtstellung gegenüber Untergebenen schamlos ausnutzt. Die andere Version charakterisiert die Polizistin, die ihn beschuldigt, als Lügnerin und als Frau, die die Nähe zu älteren, höher gestellten Männern sucht, um sich Vorteile zu verschaffen. Was ist wahr, was gelogen?

Klar ist: Was da vor dem Landgericht Stuttgart verhandelt wird, das gab es so noch nicht. Es geht um Macht, um Sex und #MeToo in höchsten Kreisen der Polizei. Seit eineinhalb Jahren nun beschäftigt die Sex-Affäre Politik und Öffentlichkeit im Südwesten. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss nimmt die Vorgänge seit Monaten ins Visier. Am Freitag nun startete der Prozess gegen den mittlerweile suspendierten, 49 Jahre alten Inspekteur vor dem Landgericht. Auf der Anklagebank sitzt niemand Geringeres als der ranghöchste Polizist des Landes.

Eine 34-Jährige Kriminalhauptkommissarin, sie ist Nebenklägerin im Prozess, wirft dem Mann sexuelle Nötigung vor. An einem Freitag im November 2021 trifft sie sich mit dem Inspekteur zu einem Gespräch. Es ist 14.30 Uhr. Es geht um ihre Karriere, die Frau befindet sich im Auswahlverfahren für den höheren Dienst. Der Inspekteur sagt ihr, die Landespolizeipräsidentin habe ihn gebeten, sie beim Aufstiegsverfahren als »Mentor« zu begleiten, so die Staatsanwältin. Die beiden trinken bei dem Treffen eine Flasche Sekt. Immer weiter wird getrunken, auch die besagte Polizeipräsidentin schaut mal vorbei. Irgendwann geht es mit einem Kollegen in eine Kneipe. Am Ende habe der Inspekteur die Polizistin dazu bewegt, noch alleine einen Absacker in einer Bar in Bad Cannstatt zu trinken.

In den frühen Morgenstunden veranlasst der Inspekteur die Polizistin laut Anklage in und vor der Gaststätte zur Duldung und Vornahme sexueller Handlungen - »und nutzte hierbei bewusst aus, dass er aufgrund seiner Stellung in der Landespolizei in der Lage war, ihr im Fall des Widerstands erhebliche berufliche Nachteile zu bereiten«. Die 34-Jährige sei bereits stark alkoholisiert gewesen. Er habe ihr in der Kneipe wiederholt Zungenküsse gegeben. Als die beiden nach draußen gingen, habe er dann unvermittelt sein »leicht erigiertes Glied« entblößt, ihre linke Hand an sein Glied geführt und mit der Bemerkung, dass ihn das total scharf mache, gegen die Wand uriniert. Sie habe Ekel empfunden, sei aber aufgrund des dienstlichen Abhängigkeitsverhältnisses nicht in der Lage gewesen, sich zu widersetzen, so die Staatsanwaltschaft.

Soweit die Version der Anklage. Die Anwälte der Polizistin zeichnen am Freitag ein ganz anderes Bild. Noch vor Prozessbeginn verteilen sie unter den Journalisten eine zweiseitige, knallgelbe Erklärung, mit der sie zum Gegenangriff übergehen. Die Anzeigenerstatterin wird darin nicht als wehrloses Opfer, sondern als gestandene Polizistin, als »Berufszeugin« und »Waffenträgerin« dargestellt, die selbst bereits im Bereich der Verfolgung von Sexualdelikten tätig gewesen sei. Sie habe in dem Verfahren Beweismittel vernichtet und mehrfach gelogen. So habe sie in der ersten Vernehmung verschwiegen, dass sie zu einem anderen, deutlich älteren und verheirateten Vorgesetzten im Ministerium seit Monaten ein intimes Verhältnis gehabt habe.

Auch stehe ein dreistündiges Video aus der Kneipe im eklatanten Widerspruch zu den Aussagen der Frau, so die Verteidiger des Inspekteurs. Denn der Kneipenbesuch der beiden wurde von einer Kamera über der Bar festgehalten. Laut Verteiidung habe die Polizistin zahlreiche intime Handlungen »eigeninitiativ« an dem Inspekteur ausgeübt. »Sie suchte und verlangte nach seiner Aufmerksamkeit und Zuneigung«, heißt es in der Erklärung. »Wir haben es hier mit einer Anzeigenerstatterin zu tun, deren beruflicher und persönlicher Lebensweg dadurch geprägt war, dass sie bewusst ältere, höher gestellte Männer suchte, um die Kontakte zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen.« Der Angeklagte sei in dem Verfahren das Opfer und müsse freigesprochen werden - er sei von lokalen Medien und der politischen Opposition vorverurteilt worden.

Um die Rolle der Öffentlichkeit geht es dann auch am ersten Prozesstag. Nebenklage und Verteidigung streiten, inwieweit die Presse und das Publikum am Prozess überhaupt teilnehmen dürfen. Der Richter folgt dem Antrag der Nebenklage und entscheidet, dass die 34-Jährige nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen werden darf. Das Recht auf Schutz der Intimsphäre überwiege gegenüber dem Interesse der Öffentlichkeit an dem Fall.

Am Nachmittag dann aber wird das Video aus der Kneipe in öffentlicher Sitzung gezeigt. Als um 15.29 Uhr die Bildschirme aufflackern, wird es gespenstisch ruhig im Saal 1 des Landgerichts. Die Kameraperspektive zeigt den rot beleuchteten Eingangsbereich der Kneipe, ein Teil der Tresens ist zu sehen, ein Holztisch, darüber ein VfB-Wappen, draußen fahren die Autos vorbei. Der Inspekteur und die Polizistin betreten die Kneipe, sie, blond, eher zierlich, trägt eine weißes Top, er ein dunkles Sakko. Er bestellt ein Bier, sie Whiskey-Cola. Sie sitzen eng nebeneinander, stecken die Köpfe zusammen, er berührt ihre Hand. Nach wenigen Minuten beginnen sie zu knutschen. Er lehnt sich immer wieder zu ihr rüber.

Zumindest die erste Stunde des Materials wirkt so, als ob die Initiative des Flirts mehr von ihm ausgeht. Aber: Die Bildqualität ist schlecht, die Mimik nicht zu erkennen - und einen Ton gibt es nicht. Was wirklich wahr ist, muss im Prozess ergründet werden. Der Inspekteur, das ist schon klar, will sich selbst nicht zu den Vorwürfen äußern. Die Strafkammer hat acht Verhandlungstage angesetzt.

Landgericht Stuttgart

© dpa-infocom, dpa:230420-99-388731/7