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Chaos bei Grün-Schwarz: Opposition fordert Luchas Rücktritt

Team Verwirrung statt Team Vorsicht: Der Gesundheitsminister drängt den Bund, nach Ostern das Ende der Pandemie einzuläuten - und handelt sich damit jede Menge Ärger ein. Kretschmann geht auf Distanz.

Gesundheitsminister Manfred Lucha
Manfred Lucha (Bündnis 90/Die Grünen), Minister für Gesundheit von Baden-Württemberg, spricht. Foto: Christoph Schmidt
Manfred Lucha (Bündnis 90/Die Grünen), Minister für Gesundheit von Baden-Württemberg, spricht.
Foto: Christoph Schmidt

Sollte man die Corona-Pandemie an Ostern für beendet erklären? Karl Lauterbach verliert sich am Freitag etwas in Spekulationen, was den Vorstoß seines grünen Amtskollegen aus Baden-Württemberg angeht. Er schätze Manne Lucha ja und arbeite gut mit ihm zusammen, sagt der SPD-Bundesgesundheitsminister in Berlin. Möglicherweise habe Lucha seinen Brief ja »in einem Moment der Frustration oder des Zorns« geschrieben. Aber die Anregung des Landesministers, die werde er »auf jeden Fall nicht aufgreifen«. Der Zorn ist Lucha nun auf jeden Fall gewiss - von allen Seiten.

Was ist passiert?

Lucha hatte Lauterbach am Donnerstag in einem Brief aufgefordert, Ende April den Wechsel von der pandemischen in die endemische Phase einzuläuten. Bedeutet: Das Coronavirus würde dann wie das Grippevirus eingestuft, es gäbe praktisch keine Tests und keine vorgeschriebene Quarantäne mehr. Die Landesregierung stand in den vergangenen Monaten immer wieder wegen eines Zickzack-Kurses im Corona-Management in der Kritik, aber so viel Ärger gab es lange nicht. Noch am Donnerstagabend distanziert sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) von seinem Minister. Der Brief sei nicht mit ihm abgestimmt gewesen, ließ er erklären. Am Abend erklärte Luchas Sprecher, die Inhalte des Schreibens hätten »offenbar einen falschen und irreführenden Eindruck vermittelt«. Er ergänzte: »Wir erklären die Pandemie explizit nicht für beendet.« Auch gebe es keinen Strategiewechsel bei den Schutzmaßnahmen.

Im Brief rechtfertigt der Landesminister den Strategiewechsel damit, dass er die Gesundheitsämter entlasten wolle. Die hätten wegen der rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante keinen Einfluss mehr auf das Ausbruchsgeschehen. Kontaktpersonen hätten die Infektion oft schon weitergegeben, bevor ihr Status bekannt werde und die Quarantäne greifen könne. Wenn die Gesundheitsämter von diesen überflüssigen Aufgaben entlastet würden, könnten sie sich darauf konzentrieren, Pflegeheime und Krankenhäuser zu beraten, um größere Ausbrüche zu vermeiden oder besser unter Kontrolle zu bringen. »Das Verhalten sollte vielmehr in die Eigenverantwortung gegeben werden, für Erkrankte gilt weiterhin die Aufforderung, zu Hause zu bleiben«, schreibt Lucha.

Die Opposition jedenfalls ist auf dem Baum. SPD und FDP fordern Luchas Rücktritt. Der Minister sei restlos überfordert und nicht mehr tragbar, sagte SPD-Partei- und Fraktionschef Andreas Stoch. Lucha habe sich »völlig im Dickicht der Corona-Politik verirrt«. Wer von Kretschmann in einer so wichtigen Frage korrigiert werde, der habe keinen Rückhalt mehr. Auch für FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke, der den Lucha-Brief zum Ende der Pandemie zunächst begrüßt hatte, ist der Minister nicht mehr haltbar. »Eigentlich muss Kretschmann Lucha entlassen bei so einem Fehltritt. Er hat ihn jetzt jeder Autorität entkleidet«, sagte Rülke der dpa.

Kretschmann schaltet sich am Freitag nochmal selbst ein in den Zwist. »Es war ein nicht abgestimmter und missverständlicher Vorstoß vom Gesundheitsminister zur falschen Zeit«, sagte der Regierungschef. Aber: »Der Vorschlag wurde zurückgezogen, wir arbeiten in der Regierung im Team, dadurch können Fehler korrigiert werden.« Die Landesregierung führe die Debatte zum Thema »in geordneten Bahnen fort«. »Das ist kein Grund für einen Rücktritt. Wir sind im Land vergleichsweise gut durch die Corona-Krise gekommen. Das ist gerade auch das Verdienst meines Gesundheitsministers.«

Aus CDU-Kreisen ist zu hören, dass auch die Fraktionschefs der Regierungsparteien »auf der Zinne« gewesen seien. Aber Fehler passierten und der Minister habe sich entschuldigt, deshalb sei das nun abgehakt. »Minister Lucha hat eine Idee der Gesundheitsämter aufgegriffen und dann wieder vom Tisch genommen«, teilte Grünen-Fraktionsschef Andreas Schwarz am Freitag mit. »Die Sache ist damit für uns erledigt.« Die Regierung sei weiter im Team Vorsicht.

So fordert Lucha gemeinsam mit Amtskollegen aus vier weiteren Ländern angesichts der Rekordinfektionszahlen eine Verlängerung der noch bis 2. April möglichen strengeren Corona-Maßnahmen um vier Wochen. Das würde den Ländern ermöglichen, die noch geltenden Schutzmaßnahmen beizubehalten, ohne dass dafür Beschlüsse der Landesparlamente notwendig seien, sagte Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Die Gesundheitsminister von Baden-Württemberg, Bayern, NRW, Saarland und Hessen fordern den Bund demnach auf, die noch offenen Fragen zur Umsetzung der Hotspot-Regelung zeitnah zu klären. Es müsse eine bundesweit einheitliche Verfahrensweise sichergestellt werden.

Zuletzt hatte Kretschmann immer wieder betont, die Pandemie sei noch nicht zu Ende. Der Grünen-Politiker zeigte sich verärgert darüber, dass die Ampel-Bundesregierung nahezu alle Corona-Schutzmaßnahmen auslaufen lassen will. Er verwies dabei auf die hohen Inzidenzen. Zuletzt gab es im Südwesten fast 40.000 Neuinfektionen an einem Tag, das entspricht einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 1900. Wegen der hohen Dunkelziffer dürfte die Inzidenz im Südwesten deutlich höher liegen. Allerdings sind die Intensivstationen der Kliniken bei weiten nicht mehr so belastet, weil die Covid-Erkrankung bei Omikron im Vergleich zur Deltavariante in der Regel milder verläuft.

SPD und FDP wollen Kretschmann und Lucha nun im Landtag Druck machen. Sie fordern die Einberufung einer Sondersitzung in der nächsten Woche. Viele Bürgerinnen und Bürger seien aufgrund der Ereignisse irritiert, schrieben Stoch und Rülke am Freitag in einem Brief an Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne). »Während der Ministerpräsident davor warnt, zum jetzigen Zeitpunkt alle Schutzmaßnahmen aufzugeben, fordert der Sozialminister in einem Brief an den Bundesgesundheitsminister einen Strategiewechsel ein«, kritisieren die Oppositionsführer in dem Schreiben. Der Landtag müsse zwingend über den Kurs der Landesregierung informiert werden. SPD und FDP können eine solche Sitzung nicht erzwingen, dafür fehlen ihnen Stimmen. Aber man hoffe, dass Aras dennoch für eine Sondersitzung entscheide, sagte ein Sprecher der SPD-Fraktion.

© dpa-infocom, dpa:220325-99-664013/5