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Atomausstieg auch im Südwesten: Letztes AKW geht vom Netz

Neckarwestheim stand Jahrzehnte lang für Atomenergie made in Baden-Württemberg. Nun geht der Name in die Geschichte ein: Als Standort eines der letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland, die jetzt vom Netz genommen werden und den Atomausstieg besiegeln.

Atomausstieg in Neckarwestheim
Aktivisten feiern vor dem Kernkraftwerk Neckarwestheim ein Abschaltfest. Foto: Stefan Puchner
Aktivisten feiern vor dem Kernkraftwerk Neckarwestheim ein Abschaltfest.
Foto: Stefan Puchner

Die Atomkraftära endet am Samstag auch in Baden-Württemberg. Als letzter Meiler im Südwesten soll Block 2 in Neckarwestheim im Laufe des Tages vom Netz gehen. Mit dem Abschalten auch der Atomkraftwerke (AKW) Emsland in Niedersachsen und Isar 2 in Bayern wird der Atomausstieg besiegelt. Hunderte Kernkraftgegner feierten vor dem Meiler im Landkreis Heilbronn ein »Abschaltfest«.

Neckarwestheim 2 war 1989 als jüngstes deutsches AKW ans Netz gegangen und wird bis zur Abschaltung nach Angaben des Betreibers EnBW rund 375 Milliarden Kilowattstunden Strom produziert haben. Mit einer jährlichen Stromproduktion von durchschnittlich rund 11 Milliarden Kilowattstunden sei etwa ein Sechstel des Strombedarfs in Baden-Württemberg gedeckt worden, teilte der Karlsruher Konzern mit.

Das Abschalten läuft laut EnBW-Kernkraftspartenchef Jörg Michels wie bei den regelmäßigen Kontrollen, den Revisionen, ab: Zuerst wird die Reaktorleistung kontinuierlich abgesenkt, indem sogenannte Steuerstäbe in den Reaktorkern eingeführt werden. Diese bremsen gewissermaßen die Kettenreaktion im Reaktor. Anschließend wird der Generator vom öffentlichen Stromnetz getrennt.

Danach geht es für den drittgrößten Energieversorger Deutschlands um den Rückbau. Die vollständige Genehmigung vom Landesumweltministerium liegt schon seit ein paar Tagen vor. Weil die Laufzeit der letzten drei Kernkraftwerke aber infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine über den Jahreswechsel hinaus verlängert worden war und zum Beispiel neue Verträge mit Drittfirmen nötig wurden, verschieben sich Michels zufolge alle Pläne um mindestens drei Monate.

Wenn mit den Abbautätigkeiten begonnen werden kann, werden zuerst die 193 Brennelemente aus dem Reaktordruckbehälter entfernt und in das benachbarte Lagerbecken überführt. Mit der Zeit werden dann etwa die nuklearen Systeme dekontaminiert, Hauptkühlmittelleitungen demontiert und die Einbauten des Reaktordruckbehälters zerlegt. Alles in allem soll der nukleare Rückbau in 10 bis 15 Jahren abgeschlossen sein.

Die EnBW schließt damit allmählich das Kapitel Atomkraft ab - was ganz im Sinne der Firmenphilosophie ist: Als der Atomausstieg in Deutschland nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 beschlossen wurde, hat die EnBW ihr Geschäftsmodell umgekrempelt und baut seither die Stromerzeugung über erneuerbare Energien aus. »EnBW diskutiert nicht über Atomausstieg, sondern hält am Masterplan für den Rückbau fest«, hatte Michels kürzlich noch mal betont.

Nach Angaben des Bündnisses endlich-abschalten kamen am Samstag rund 500 Menschen zu einer Kundgebung an den Meiler. Die Polizei sprach am frühen Nachmittag von 350 Teilnehmern und Teilnehmerinnen bei weiterem Zulauf. Die Menschen hatten Transparente mit Aufschriften wie »Endlich ist Schluss« dabei. »Der jahrzehntelange Widerstand gegen den Betrieb von Atomanlagen und gegen das sinnlose Verschieben des hochradioaktiven Atommülls ist sicherlich neben Fukushima ein wichtiger Grund für diesen Atomausstieg«, teilte das Bündnis mit.

Landesumweltministerin Thekla Walker (Grüne) hatte im Verlauf der Woche bekräftigt, Atomkraft sei keine nachhaltige Technologie. »Die Produktion von Atomstrom verursacht enorme Kosten und Entsorgungsprobleme in der Zukunft. Die Herausforderung, wie wir riesige Mengen von Atommüll sicher endlagern, wird uns längere Zeit beschäftigen als die deutschen Atomkraftwerke in Betrieb waren.«

CDU-Landeschef Thomas Strobl erklärte, der Weiterbetrieb von Neckarwestheim 2 bis jetzt sei richtig gewesen. »Damit sind allein 2023 noch mal 1,7 Milliarden Kilowattstunden Strom stabil und kostengünstig ins Netz gekommen.« Angesichts der Energiekrise habe »alles, was sicher Energie erzeugt«, in die Waagschale gemusst.

Laut dem Netzbetreiber TransnetBW speiste Neckarwestheim 2 in den letzten Tagen des sogenannten Streckbetriebs noch rund 850 Megawatt (MW) ins Stromnetz ein. Das entspreche der Leistung eines großen Kohlekraftwerks unter Volllast. 1350 MW wären der Normalbetrieb.

Da die Netze vom Norden, wo vor allem mit Windkraft Strom erzeugt wird, in den Süden Deutschlands noch nicht ausreichend ausgebaut sind, steige mit der Abschaltung der beiden AKW im Süden Deutschlands der Bedarf an Ausgleichsmaßnahmen aus Reservekraftwerken und aus dem Ausland, teilte eine Sprecherin mit. »Die Strom-Importabhängigkeit von Baden-Württemberg nimmt weiter zu.« Import bedeute dabei auch Lieferungen über die benachbarten deutschen Übertragungsnetze, nicht nur aus dem Ausland. In einer Bedarfsanalyse für den kommenden Winter kalkulieren die vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland im Übrigen auch Strom aus französischen Kernkraftwerken mit ein.

Zusätzlich sinke der Anteil an gesicherter Leistung zur Lastdeckung in Deutschland, erklärte die TransnetBW-Sprecherin. Im Zusammenhang mit dem Kohleausstieg müssten bis 2030 zum Ausgleich fehlender Netzkapazitäten etwa neue Gaskraftwerke gebaut werden.

»Selbst wenn die Mengen von ausländischem Atomstrom-Import sehr gering sind, müssen wir mit großer Anstrengung daran arbeiten, dass wir uns von Atomstrom zu 100 Prozent unabhängig machen«, erklärte der Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion, Andreas Schwarz. »Deshalb hat der Ausbau von Sonnen- und Windkraft, Wasserkraft, Biomasse und Geothermie für mich oberste Priorität.« Baden-Württemberg gehe etwa mit einem Klimaschutzsofortprogramm und einer Taskforce zum schnelleren Ausbau der Windkraft mit großen Schritten voran.

Für die Gemeinde Neckarwestheim mit rund 4200 Einwohnerinnen und Einwohnern bedeutet der Atomausstieg, dass der Gürtel nun enger geschnallt werden muss. Fünf bis zehn Millionen Euro Gewerbesteuer sprudelten nach Angaben von Bürgermeister Jochen Winkler (parteilos) jedes Jahr in die Kasse - vorwiegend durch das AKW. Mit dem Geld leistete sich die Kommune unter anderem gut ausgestattete Kindergärten. Nun wird seit Jahren geschaut, wo gespart werden kann.

Infos über AKW Neckarwestheim 2

Infos zum »Abschaltfest«

Bedarfsanalyse 2023

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