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Absagen für Kretschmanns Arbeitszeit-Idee an Schulen

Wegen der wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs ist viel von Zumutungen die Rede. Die Menschen werden sich einschränken müssen - da ist sich Regierungschef Kretschmann sicher. Nach einem überraschenden Vorschlag bekommt er aber eine klare Abfuhr.

Winfried Kretschmann (Die Grünen)
Baden-Württembergischer Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen). Foto: Bernd Weißbrod
Baden-Württembergischer Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen).
Foto: Bernd Weißbrod

Für seinen Vorschlag nach längeren Arbeitszeiten an Schulen kassiert der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) reihenweise Absagen. Die Gewerkschaften sind empört, weil der Regierungschef eine zusätzliche Stunde für Lehrkräfte ins Gespräch gebracht hat, um eine bessere Bildung im Land zu gewährleisten. Auch die Berufsverbände zeigen ihm die Rote Karte und werfen der Landesregierung vor, nicht schon vor Jahren stärker in den Ausbau der Stellen investiert zu haben.

»Eine pauschale moralische Aufforderung halte ich jetzt nicht für zielführend«, sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Ein Appell für freiwillige Mehrarbeit sei sicherlich erlaubt, sagte er dem Südwestrundfunk (SWR) am Dienstag. Deutschland brauche aber wahrscheinlich über 20.000 neue Lehrkräfte - und derzeit wisse niemand, wo diese herkommen könnten. Auch ukrainische Lehrerinnen und Lehrer seien eine Hilfe, sie könnten aber nicht die Lösung bringen.

Kretschmann hatte am Montagabend längere Arbeitszeiten für Lehrkräfte ins Gespräch gebracht, um eine bessere Bildung im Land zu gewährleisten. Sehr viele Lehrkräfte seien Frauen und viele von ihnen arbeiteten in Teilzeit. »Wenn die alle eine Stunde mehr arbeiten würden, eine Stunde, hätte ich 1000 Lehrer mehr, die ich dringend brauche«, hatte der Grünen-Politiker bei einer Podiumsdiskussion der »Stuttgarter Zeitung« vorgerechnet. Die Schule habe eine zentrale Rolle beim Kampf gegen den Fachkräftemangel, der schon jetzt ein großes Problem in Baden-Württemberg sei. »Da müssen wir mehr reinstecken.«

Im Südwesten gibt es gut 110.000 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen. Vor allem in Grundschulen ist der Anteil der Lehrerinnen sehr groß.

Monika Stein, Landeschefin der Bildungsgewerkschaft GEW, zeigte sich empört über Kretschmanns Vorschlag. »Das ist total daneben«, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. »Die Teilzeit-Lehrkräfte arbeiten nicht deshalb weniger, weil es Spaß macht, weniger Geld zu verdienen, sondern weil es für sie notwendig ist, Teilzeit zu arbeiten, damit sie ihren Beruf gut ausüben können.« Es gehe dabei auch darum, Familie und Job unter einen Hut zu bringen.

Nach zwei Jahren Pandemie mit übermäßiger Belastung seien viele Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulleitungen mit ihren Kräften sowieso schon am Ende, sagte die Gewerkschafterin. Jetzt kämen noch Kinder und Jugendliche dazu, die aus der Ukraine geflüchtet sind. »Wenn ich die Belastung weiter erhöhe, werden deutlich mehr Lehrkräfte ausfallen.«

In das gleiche Horn stößt Gerhard Brand vom Verband Bildung und Erziehung (VBE): »Das Thema Arbeitszeit wird ausgerechnet in einer Phase wieder aus der Schublade geholt, in der Lehrer wegen Pandemie und Krieg bereits lange ohne Murren bis zum Anschlag gearbeitet haben«, sagte er der dpa. Kretschmanns Vorschlag sei nicht praxistauglich. Es habe sich jedoch gezeigt, dass es vor allem in den Reihen der pensionierten Lehrkräfte und der Studenten eine enorme Hilfsbereitschaft für die Tausenden ukrainischen Flüchtlingskinder gebe. »Aber das Land schafft es nicht, die Organisationen, die sich einsetzen wollen, zu koordinieren«, kritisierte Brand.

Als unverantwortlich bezeichnete Ralf Scholl vom Philologenverband Kretschmanns Äußerungen. »Man fühlt sich als Lehrkraft oder Schüler in Baden-Württemberg mittlerweile als Kretsch-Test-Dummy«, sagte er. »Man wird ins Schulsystem gepackt und das lässt die Landesregierung gegen die Wand fahren.«

Kretschmann müsse vor allem besser rechnen: Zum einen reiche es für 1000 weitere Lehrerstellen aus, würde nur etwa jede dritte Teilzeitkraft eine Stunde länger arbeite. »Zum anderen allerdings wird eine Teilzeit auch nur in Teilzeit bezahlt« sagte Scholl. Und unbezahlt und freiwillig? Das sei angesichts der Belastungen naiv und demoralisierend. »Lehrkräfte sind nicht faul, sie sind ausgebrannt«, konstatierte Scholl.

Die SPD wirft Kretschmann vor, »aus seinem Dornröschenschlaf« aufzuwachen und den akuten Lehrkräftemangel zu erkennen. »Aber anstatt sich an die eigene Nase zu fassen, zeigt er jetzt mit dem Finger auf die Lehrkräfte«, kritisierte der Bildungsexperte der Fraktion, Stefan Fulst-Blei. »Wertschätzung sieht anders aus.«

© dpa-infocom, dpa:220426-99-45945/4