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Aktuell Mobilitätstage

Gegenwart trifft Zukunft

Die Anforderungen an luft- und klimaschonende Mobilität steigt. Darauf haben die ersten »Reutlinger Mobilitätstage« des Reutlinger General-Anzeigers Antworten gesucht.

REUTLINGEN. Wie bewegen wir uns morgen von A nach B? Wie übermorgen? Die Frage beschäftigt Menschen umso intensiver, je mehr sie in tagtäglichen Staus feststecken, sich mit Unzulänglichkeiten des öffentlichen Verkehrs herumplagen und die Anforderungen an luft- und klimaschonende Mobilität steigen. Die ersten »Reutlinger Mobilitätstage« des Reutlinger General-Anzeigers haben am Wochenende in und um die Reutlinger Stadthalle Antworten gesucht.

»Die beiden Messetage haben sichtbar und erlebbar gemacht, wie sehr sich unsere Mobilität in den nächsten Jahren vor der eigenen Haustüre verändern wird«, freute sich GEA-Marketing-Chef und Messeleiter Joachim Bräuninger. Mit Schaeffler Paravan, Elring-Klinger, Bosch und Magura sei »internationale Mobilitäts-Kompetenz mit lokalen Wurzeln« nach Reutlingen gekommen. Zudem hätten Stadt und Landkreis die Messe glänzend dazu genutzt, ihre ÖPNV-Konzepte »informativ und unterhaltend« zu präsentieren.

Knapp 5 000 Besucher bei einer Messe-Premiere seien ein gutes Ergebnis. Am Sonntag hatte man sich noch besseren Besucherzuspruch erhofft. Mit den verkaufsoffenen Sonntagen in Reutlingen und Pfullingen war bei bestem Frühlingswetter die Konkurrenz allerdings erheblich.

Vom zusammenklappbaren Mini-Elektroroller bis zum wasserstoffangetriebenen Stadtbus: Über 50 Aussteller zeigten Highlights. In zehn Expertentalks wurden spannende und zugleich komprimierte Einführungen geboten, was sich in der Region so alles bewegt. Abseits davon, wo die Reise hingeht: Verkehr wird intelligenter und vielfältiger. Das zeigte die Messe-Premiere eindrücklich. Dabei trafen auch Welten aufeinander: die noch fern scheinende Vision vom Autonomen Autofahren und das greifbare nahe neue Stadtbuskonzept etwa. Beide können, sollen ihren Beitrag leisten zur viel beschworenen Mobilitätswende.

Wie sieht sie aus, wie fühlt sie sich an, die neue Mobilität: Vieles war zum Anfassen und Ausprobieren. Das Fahrerlebnis im mit Technik vollgestopfen autonom fahrenden Paravan-Transporter nahm sich allerdings noch recht beschaulich aus. Mario Abraham und Sten Appelt kurvten auf einem Testparcours vor der Stadthalle umher und nahmen dabei die Hände vom Steuer. Auf die Lederstraße mit dem Sprinter? Theoretisch: ja. Praktisch: nein. Er würde bei jedem Fußgänger, der dem Wagen in die Nähe kommt, in die Bremsen gehen.

»Das wird nicht mehr die Stadt sein, wie wir sie kennen«

Dass mit Roland Arnold und seiner Firma Paravan eine zentrale Keimzelle dieser Vision auf der Schwäbischen Alb liegt, zeigt einmal mehr, dass man in der Region Mut zu Visionen und die Kraft für Beharrlichkeit hat. Angefangen hat vor gut 20 Jahren alles damit, dass Firmengründer Arnold auch Menschen mit schwersten körperlichen Beeinträchtigungen das Autofahren ermöglichen wollte. Im Joint Venture mit dem Automobilzulieferer Schaeffler liefert das Unternehmen mittlerweile die Schlüsseltechnologie fürs Autonome Fahren.

Auf einer sieben Kilometer lange Teststrecke zwischen Aichelau und Pfronstetten soll in absehbarer Zeit ein autonomes Fahrzeug auf die Straße geschickt werden. Doch wie rasant werden die selbstfahrenden Vehikel flächendeckend die Straße bevölkern? Roland Arnold ist äußerst vorsichtig mit Prognosen. Dass man sich bald im Stau entspannt zurücklegen kann, sieht er auf absehbare Zeit realisierbar. Autonom über die Alb: eher nein.

GEA-Verleger Valdo Lehari jr. war voll des Lobes über die »Silicon Alb«. Er betonte auch, dass es bei Verkehr um mehr gehe als ums Vorankommen. Es gehe um Stadtkonzepte, die Gesellschaft insgesamt. Er betonte auch, dass Verkehrsentwicklung nicht in der Stadt isoliert betrieben werden könne, sondern ein Thema der ganzen Region sei.

»Das wird nicht mehr die Stadt sein, wie wir sie kennen. Große Veränderungen gehen vor sich«, sagte Oberbürgermeisterin Barbara Bosch. Sie seien nicht erst durch die Fahrverbote ins Bewegung gebracht worden, beteuerte sie. Man wolle das Auto nicht verteufeln in Reutlingen. Es ist aber ihrer Wahrnehmung nach bei den Bürgern angekommen, »dass sich was ändern muss«.

Die, die zur Messe kamen, musste man davon nicht überzeugen. Ein interessiertes Publikum führte an den Messeständen intensive Gespräche. Dass die Gäste auch informiert waren, wurde in den Publikumsfragerunden der gut besuchten stündlich stattfindenden Experten-Talks deutlich.

Im Vortrag zur »Mobilität im Landkreis« gab sich Landrat Thomas Reumann skeptisch im Hinblick auf das Autonome Fahren. Es sei »nicht die Antwort« für alles, insbesondere nicht für ÖPNV-Rezepte im ländlichen Raum. Hier setzt man auf schnelle konventionelle Lösungen. Ab Dezember soll eine Schnellbuslinie zwischen Bad Urach und Münsingen verkehren. Münsingen soll sich zur Mobilitätsdrehscheibe auf der Alb entwickeln. Eine mit Holz »und viel Herzblut« gestaltete Bushaltestelle in der Halle machte Lust darauf, auch mal länger auf den Bus zu warten.

Eine große Reliefkarte der Regionalstadtbahn Neckar-Alb (RSB) zeigte nebenan, wie Schienen einst die Region vernetzen sollen. Reumann verteidigte im Talk das teure geplante Stadtbahnprojekt, das Propheten der neuen Mobilität bereits als überflüssig bezeichnen. Die RSB sei das geeignete Mittel, um zu Spitzenzeiten große Mengen Fahrgäste in einem kurzen Zeitraum zu transportieren, befand der Landrat. Er räumte aber sehr wohl ein, dass man bestimmte Strecken »vielleicht« nicht mehr bauen wird.

Der Landrat sprach sich für ein anderes Schienenprojekt aus, das in letzter Zeit auffallend auf die Agenda rückt: die S-Bahn nach Stuttgart. »Den Anschluss an die Metropolregion müssen wir hinkriegen.«

Die Stadt setzt derweil als Akut-Maßnahme der Mobilitätswende auf den Radverkehr (siehe nebenliegende Seite) und das stark ertüchtigte Stadtbusnetz, das im September an den Start gehen soll.

Dass man Menschen für den ÖPNV erwärmen kann, ohne einen einzigen Bus mehr auf die Strecke zu schicken, zeigen 765 Neukunden, die die Reutlinger Stadtverkehrsgesellschaft (RSV) dieses Jahr bislang dazu gewonnen hat – durch das 365-Euro-Ticket. Dazu hat man 24 000 mehr Erwachsenen-Tagestickets verkauft. Die RSV verzeichnete so im Januar und Februar 2019 verglichen mit dem Vorjahr 60 000 Beförderungen mehr. Eine Steigerung von zwei Prozent erläuterte am städtischen Messestand Bernd Kugel von der RSV. Das Busunternehmen will mit 100 neuen Haltestellen und zehn neuen Linien weitere Umstiegskandidaten locken. Bis 2030 soll die Busflotte komplett auf batteriegespeisten Elektro-Antrieb umgestellt sein.

»Die Brennstoffzelle ist langfristig das bessere System«

Neben Paravan-Chef Roland Arnold lieferten auch Vertreter der Reutlinger Hochschule interessante Einblicke in die Welt des Autonomen Fahrens. Professor Andrea Lipp-Allrutz und Professor Michael Goretzky erläuterten, wie an der Reutlinger University an der Mobilitäts-Zukunft mitgearbeitet wird im Studiengang »Transportation Interior Design«. Menschen, die in per App gebuchten variablen futuristischen Vehikeln sich fortbewegend lesen, ruhen oder sich unterhalten: Ein Film zeigte das autonome Shuttle-Konzept eines chinesischen Masterstudenten.

Was treibt den Elektromotor der Zukunft an? Wasserstoff aus der Brennstoffzelle oder eine Batterie? Die Messe ist nicht gelesen. Dr. Stefan Wolf berichtete aus einer weiteren international agierenden Zukunftsschmiede der Region: Elring-Klinger (Dettingen) stellt unter anderem innovative Batterien und Brennstoffzellen her. Wo die Reise hingeht, sei offen. Die Brennstoffzelle ist für ihn »langfristig das bessere System«, weil sie komplett-CO2-frei sei. Insbesondere aber auch, weil sie erlaube, bestehende Tankstellen-Infrastruktur zu nutzen, und zwar in ganz Europa.

Es gelte gleichwohl, Kräfte zu bündeln für beide Antriebsarten. Die Musik spiele zunehmend in Asien. Wolf forderte dazu eine gemeinsame Strategie der deutschen Automobilindustrie, um der Konkurrenz die Stirn zu bieten. Der Vorstandsvorsitzende hegt derweil durchaus weiter Sympathie für den Dieselmotor. Auch wegen seines geringen CO2-Ausstoßes sei er kein Auslaufmodell. »Die Diskussion geht politisch daneben.«

Vor der Stadthalle zu besichtigen: ein Wasserstoffbus der Stuttgarter Straßenbahnen-AG. Die SSB setzt anders als die Reutlinger für die Zukunft verstärkt auch auf die Brennstoffzelle. Vier der 260 Busse der Flotte haben Wasserstoffantrieb, weitere sollen laut Corinna Reik folgen.

Die Stuttgarter seien offen für alles, was wirkt, insbesondere auch für kurzfristige Lösungen. So werden die Dieselfahrzeuge auf synthetischen GTL-Kraftstoff umgestellt. Sie sollen 20 Prozent weniger Stickoxide auspusten. (GEA)