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Der ewige Putin: Muskelspiele im Ausland und Druck im Inland

In einer ungewöhnlichen Neujahrsansprache erklärte Boris Jelzin vor 20 Jahren seinen Rücktritt - und machte Wladimir Putin zum neuen Präsidenten. Doch zum Jahrestag wächst der Druck auf den 67-jährigen Kremlchef. Immer mehr Russen wollen Veränderung.

Wladimir Putin
Er liebt die Pose des starken Mannes: Wladimir Putin auf einem Foto aus dem Jahr 2007. Foto: epa Astakhov POOL/epa/dpa
Er liebt die Pose des starken Mannes: Wladimir Putin auf einem Foto aus dem Jahr 2007. Foto: epa Astakhov POOL/epa/dpa

Moskau (dpa) - Für Kremlchef Wladimir Putin ist Silvester dieses Jahr ein ganz besonders denkwürdiger Tag. 20 Jahre ist es am (Dienstag) 31. Dezember her, dass er erstmals russischer Präsident wurde.

Quasi über Nacht. Präsident Boris Jelzin (1931-2007) verkündete damals in der Neujahrsansprache an Silvester seinen baffen Landsleuten: »Meine Lieben (...) Ich trete zurück.«

Die Jahrtausendwende sei der richtige Zeitpunkt für eine neue Politiker-Generation, um Russland nach vorne zu bringen, meinte Jelzin damals mit der schweren Zunge eines Alkoholisierten. Vieles habe er nicht erreicht. Deshalb sollte Putin, damals Regierungschef, die Amtsgeschäfte übernehmen - bis zur Präsidentenwahl im März 2000.

Der damals erst 47 Jahre alte Putin gewann die Abstimmung. Und Jelzin, den viele Russen trotz der wirtschaftlich chaotischen 1990er Jahre für seine demokratische Freiheitsliebe bis heute schätzen, verschwand von der Bildfläche.

In Kreml übernahm der Ex-KGB-Offizier, der sich bis zum Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB hochgearbeitet hatte, die Macht. Nur einmal von 2008 bis 2012 zog Putin vorübergehend aus, um auf den Posten des Regierungschef zu wechseln. Die Verfassung ließ nur zwei Amtszeiten in Folge zu. Dann kam er zurück.

Doch nach 20 Jahren mit Putin macht sich nach Meinung vieler Experten in Russland zunehmend Ernüchterung breit. Die nationale Euphorie von 2014 über die von vielen Russen gefeierte »Heimholung« der Schwarzmeer-Halbinsel Krim ist verflogen. Damit wollte Putin wie schon bei seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 Stärke gegenüber dem Westen zeigen.

Seit dieser international verurteilten Annexion des ukrainischen Gebietes stehen die Zeichen auf Konfrontation wie im Kalten Krieg. Sanktionen setzten Russlands Wirtschaft zu. Viele ausländische Investoren meiden das Riesenreich. Längst ist auch bei vielen Russen angekommen, dass die außenpolitischen Muskelspiele der militärisch wieder selbstbewussten Atommacht im Syrien-Krieg und im Ukraine-Konflikt auf Kosten des Lebensstandards in Russland gehen.

Der Wunsch nach Veränderung, nach wirtschaftlichen und sozialen Reformen wächst laut Umfragen von Meinungsforschern rasant. Verbreitet ist demnach der Frust über hohe Preise und Korruption, sinkende Löhne und die hohe Arbeitslosigkeit. Viele klagen über eine miese medizinische Versorgung und große ökologische Probleme.

Nach einer Umfrage des Moskauer Instituts Lewada wünschten sich im Juli dieses Jahres 59 Prozent der Befragten radikale Veränderungen - ein Plus von 17 Punkten im Vergleich zu Juli 2017 (42 Prozent). Bei 90 Prozent lag sogar der Wert mit jenen, die sich moderate Reformen wünschen. Interessant dabei aus Sicht der Soziologen: Der in der Vergangenheit meist gegen die Regierung und die dominante Partei Geeintes Russland gerichtete Unmut traf zuletzt auch Putin direkt.

Dabei konnte sich Putin viele Jahre dank hoher Rohstoffpreise auf Wachstum und Zufriedenheit in der Bevölkerung verlassen. »Da aber wirtschaftliche Probleme wachsen, sinkt nun die Autorität der Machthaber«, stellt die Moskauer Denkfabrik Carnegie Center fest. Der Luxus, mit dem sich Staatsbeamte und Mitarbeiter von Staatskonzernen umgäben, verärgere immer mehr Leute.

Eine Bereitschaft, zum Beispiel mehr politische Freiheiten zuzulassen, sieht der Carnegie-Experte Andrej Kolesnikow aber auch nach den Oppositionsprotesten im vergangenen Sommers nicht. »Vielmehr hat polizeiliche Willkür die Machtlinie nur noch gefestigt, sich nur nicht auf einen Dialog mit den Bürgergesellschaft oder auf eine Demokratisierung des Systems einzulassen«, meint er. »Das autoritäre Regime (...) ist zu intensiveren Repressionen übergangen.«

Dabei war Präsident Jelzin bei seinem Rücktritt am 31. Dezember 1999 noch zuversichtlich, dass die totalitären Zeiten in Russland vorbei seien. Auch Putin beteuerte damals in einer Rede am Silvesterabend: »Die Freiheit des Wortes, des Gewissens, die Freiheit der Medien, die Eigentumsrechte, alle Elemente der zivilisierten Gesellschaft werden verlässlich geschützt.« 20 Jahre später sehen die Kremlgegner und Menschenrechtler all das vernichtet.

Verbreitet ist in Russland die Sichtweise, dass Putin ein System geschaffen hat, das schon aus reinem Selbsterhaltungstrieb alles daran setzen wird, dass er Kremlchef bleibt. Militär, Geheimdienste, Kirche und systemtreue Oligarchen stehen fest an seiner Seite. Putin selbst lässt zwar offen, wie es nach seiner laut Verfassung letzten möglichen Amtszeit 2024 weitergeht. Möglich ist aber, dass der 67-Jährige die Verfassung ändern lässt für ein Regieren ohne Ende.

Wladislaw Surkow, einer der führenden Ideologen im Kreml, rief in einem breit diskutierten Artikel in diesem Jahr den »Putinismus« zum Jahrhundertprojekt aus - als Beispiel auch für andere Länder. Die große politische Maschine Putins nehme gerade erst an Fahrt auf.

Bei seiner traditionellen Pressekonferenz im Dezember räumte Putin - wie Jelzin vor 20 Jahren - zwar ein, dass das Land weiter viele schwere Probleme habe. Er sieht aber niemanden als sich selbst, um die Aufgaben zu lösen. Befragt nach Putins Plänen für Silvester, das nach Meinung vieler Russen arbeitsfrei sein sollte, meinte sein Sprecher Dmitri Peskow nur: »Der Präsident arbeitet wie ein Hochofen, der nicht stillzulegen ist, weil er ohne Pausen heizen muss.«