Logo
Aktuell Nachruf

Vorkämpferin für grüne Ideen in Pfullingen: Sigrid Godbillon gestorben

Sigrid Godbillon, vielfältig engagierte Kommunalpolitikerin, ist im Alter von 71 Jahren gestorben

In ihrer Freizeit spielte sie gern Klavier: Sigrid Godbillon war seit den 80er-Jahren ehrenamtlich in der Asylarbeit aktiv und v
In ihrer Freizeit spielte sie gern Klavier: Sigrid Godbillon war seit den 80er-Jahren ehrenamtlich in der Asylarbeit aktiv und vertrat 35 Jahre lang im Pfullinger Gemeinderat die Interessen der Bürgerinnen und Bürger. FOTO: SCHÖBEL
In ihrer Freizeit spielte sie gern Klavier: Sigrid Godbillon war seit den 80er-Jahren ehrenamtlich in der Asylarbeit aktiv und vertrat 35 Jahre lang im Pfullinger Gemeinderat die Interessen der Bürgerinnen und Bürger. FOTO: SCHÖBEL

PFULLINGEN. Sie war das Gesicht der Grün-Alternativen Liste (GAL) in Pfullingen und Vorkämpferin für grüne Ideen in der Region: Sigrid Godbillon ist nach langer Krankheit Mitte August im Alter von 71 Jahren gestorben.

Jahrzehntelang hat sie sich ehrenamtlich engagiert und dabei stets das Wohlergehen der Menschen im Blick gehabt, sei es in Hinsicht auf den Natur- und Umweltschutz, sei es, was die Menschenwürde all jener angeht, die hier im Landkreis Asyl vor politischer Verfolgung suchten oder vor Kriegen in ihrer Heimat flüchteten.

Protest gegen AKW Mittelstadt

Sie stammte aus Mönchengladbach, hat aber beinahe 50 Jahre in Pfullingen gelebt. Politisch interessiert war sie von Jugend an. Die Ölkrise 1973 war für sie der Anlass, sich verstärkt den Themen Umwelt und Klima zu widmen. Mitte der 70er-Jahre engagierte sie sich für Amnesty International. Als junge Mutter – mit Ehemann Pierre hatte sie drei Kinder – protestierte sie gegen das damals geplante Atomkraftwerk Mittelstadt, machte in der Reutlinger Fahrradinitiative mit und kämpfte gegen Pläne, einen Albaufstieg durch das Arbachtal zu bauen.

Im Jahr 1980 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der Grünen auf Landes- und Kreisebene. Gemeinsam mit Detlev Rumpf zog Sigrid Godbillon 1984 erstmals für die GAL in den Pfullinger Gemeinderat ein und gestaltete 35 Jahre lang die Kommunalpolitik der Echazstadt mit. Dem Kreistag gehörte sie bis 1999 an.

Bekannt war sie für ihre Beharrlichkeit, bei Ratskollegen, Verwaltungsmitarbeitern oder bei den Behörden hakte sie stets so lang nach, bis sie eine Antwort erhielt, auch wenn diese sie nicht zufriedenstellte. Immer wieder brachte sie Anträge in den Gemeinderat ein, die ihre eher konservativen Ratskollegen bisweilen zur Weißglut trieben. Und sie hielt mit Kritik nicht hinter dem Berg: Was aus ihrer Sicht falsch lief in der Echazstadt – oder an anderer Stelle – das sprach sie an und forderte Änderung.

Sie war eine leidenschaftliche Radfahrerin, kam nicht selten, mit dem Fahrradhelm in der Hand, in letzter Minute in die Gemeinderatssitzung, weil sie zuvor an anderer Stelle ehrenamtlich tätig gewesen war. Anfang der 90er-Jahre gehörte sie zu den Initiatorinnen der Klägergemeinschaft gegen die Verkehrsstraße Ost, wie die Pfullinger Ortsumgehung – heute Ursulabergtunnel – seinerzeit genannt wurde. »Neue Straßen schaffen mehr Verkehr«, davon war sie überzeugt.

Als Mitte der 80er-Jahre die ersten Asylbewerber nach Pfullingen kamen, gehörte Sigrid Godbillon zu denen, die sich um die Algerier, Libanesen oder Pakistani kümmerten. Sie gründet Asyl-cafés mit, zunächst in Pfullingen, später auch in Reutlingen. Sie half den Menschen, sich in der neuen, fremden Gesellschaft zurechtzufinden und unterstützte sie auf dem langen Weg durch das Anerkennungsverfahren.

Mit Bundesverdienstkreuz geehrt

Dabei kamen ihr ihre Fremdsprachenkenntnisse zugute. Sigrid Godbillon, die einst Mathematik studiert hatte, war als Dolmetscherin tätig. Ende der 90er-Jahre, als infolge des Zerfalls Jugoslawiens viele Kosovaren auch in die Region kamen, lernte sie sogar Albanisch, um ihnen adäquat helfen zu können. Als 2014/15 die Zahl der Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan drastisch anstieg und auch in Pfullingen wieder Asylbewerber ankamen, hat sie ihr ehrenamtliches Engagement wieder in die Heimatstadt verlegt.

Ihr Engagement für diese Menschen, die vor Krieg und Folter geflüchtet waren, war einer der Beweggründe für den Bundespräsidenten, sie mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zu ehren. Anfang Dezember 2017 wurde sie am Tag des Ehrenamts von Ministerpräsident Winfried Kretschmann ausgezeichnet. »Neben Ökologie und Nachhaltigkeit ist die Flüchtlingsarbeit eine Herzensangelegenheit der sprachbegabten Mathematikerin«, hieß es in der Würdigung des Staatsministeriums.

Den feierlichen Anlass nutzte Sigrid Godbillon seinerzeit, um einmal mehr ihren Ruf als Kämpferin für die Anliegen Geflüchteter zu festigen. Sie überreichte Kretschmann einen Brief, in dem sie die von ihm mit verantwortete Entscheidung, Afghanistan zu einem »sicheren Herkunftsland« zu erklären, kritisierte.

Aus gesundheitlichen Gründen schied Sigrid Godbillon Anfang 2020 aus dem Gemeinderat aus. Die Krankheit erforderte es, dass sie auch ihre Arbeit für Flüchtlinge und Asylbewerber aufgab. Sie zog sich ganz aus der Öffentlichkeit zurück. Am 13. August ist sie gestorben.

Die Stadt Pfullingen würdigt in ihrem Nachruf Sigrid Godbillons kommunalpolitisches Engagement: Unermüdlich habe sie sich für die Bereiche Natur- und Umweltschutz, Ökologie und Nachhaltigkeit, für den öffentlichen Nahverkehr und die Ausweitung des Radwegenetzes eingesetzt. Ebenso seien ihr stets die Förderung der Schulsozialarbeit und der offenen Jugendarbeit ein großes Anliegen gewesen.

Die Städtepartnerschaft gefördert

Für ihre Arbeit im Gemeinderat erhielt sie die Ehrennadeln in Silber und Gold des Städtetags und des Gemeindetags Baden-Württemberg. Ihr mehr als 30-jähriges Wirken als Übersetzerin bei zahlreichen Begegnungen mit Freunden aus Pfullingens französischer Partnerstadt Passy habe einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Städtepartnerschaft geleistet, heißt es weiter im Nachruf der Stadt.

Eine Trauerfeier gibt es am Donnerstag, 2. November, um 11 Uhr in den Pfullinger Hallen. Die Beisetzung wird im engsten Familienkreis stattfinden. (GEA)