Logo
Aktuell Land

Mehr Kriminalität durch Migration und Inflation - stimmt das?

Die Zahlen zur Kriminalität gehen durch die Decke - auch im Südwesten. Innenminister Strobl begründet das unter anderem mit den hohen Flüchtlingszahlen. Was steckt dahinter?

Bevölkerung
Personen gehen über die Königstraße. Foto: Marijan Murat/DPA
Personen gehen über die Königstraße.
Foto: Marijan Murat/DPA

STUTTGART. Seit Tagen kursieren Zahlen zur Kriminalität in Bund und Ländern - sie sehen so düster aus wie seit vielen Jahren nicht. Immer mehr Straftaten werden registriert. Am Donnerstag präsentierte Innenminister Thomas Strobl die Statistik fürs Ländle. Wie ist die Lage im Südwesten? Die wichtigsten Fragen und Antworten.  

Wie entwickelt sich die Kriminalität ganz konkret im Land?

Es sieht nicht rosig aus. Wie in den Vorjahren ist nicht nur das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen niedrig, nun steigt auch ganz objektiv die Kriminalität. In der 233-seitigen Statistik finden sich viele rote Pfeile, die nach oben zeigen: Bei Diebstahl beträgt der Zuwachs 14 Prozent, bei Rohheitsdelikten wie Körperverletzung 8 Prozent, bei Sexualdelikten gut 2 Prozent. Auch Ladendiebstähle, Tankbetrug und Schwarzfahrdelikte haben deutlich zugenommen. Insgesamt stieg die Zahl der registrierten Straftaten im Jahr 2023 im Südwesten um mehr als 8 Prozent auf 594 657 Fälle. Zu beachten bei der Kriminalstatistik: Registriert werden lediglich Anzeigen, es geht um Verdächtige, nicht Verurteilte. Das Dunkelfeld bleibt dunkel. 

Gibt es auch gute Nachrichten?

Ja, auch wenn man in dem Bericht danach suchen muss. So stieg die Aufklärungsquote der Südwest-Polizei im vergangenen Jahr von 61,4 auf 63,5 Prozent. Die politische Kriminalität sank um 21,8 Prozent, was mit weniger Taten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und dem Angriffskrieg Russlands erklärt wird. Auch positiv: Die Zahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren unter Alkoholeinfluss sank 2023 deutlich. 

Wie bewertet der Innenminister die Entwicklung der Kriminalität?

Der Innenminister gibt sich auf der Pressekonferenz zunächst überraschend positiv. Baden-Württemberg sei immer noch eines der sichersten Länder der Welt, Strobl spricht vom »zweitniedrigsten Wert der Kriminalitätsbelastung seit 20 Jahren im Südwesten« - wobei da die Pandemie-Jahre 2020 und 2021 ausgenommen sind. Auch sogenannte Verstöße gegen das Ausländerrecht wurden da herausgerechnet, also etwa Delikte wie illegale Einwanderung und der illegale Aufenthalt, die naturgemäß mit der Zuwanderung einhergehen. 

Strobl betont, dass die Zahl der Delikte auf 100 000 Einwohner im Land - sie stieg im Südwesten von 4994 auf 5345 - immer noch deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegt.  »Nirgends lebt es sich so sicher wie in Bayern und Baden-Württemberg«, ist der Minister überzeugt. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) warnt hingegen davor, die Zahlen herunter zu reden. »Da bleibt keine Luft für politisches Eigenlob«, kritisiert Landeschef Ralf Kusterer.

Wird die Entwicklung beschönigt?

Mit solchen Statistiken wird immer auch Politik gemacht, sie lassen sich so und so auslegen. Strobl nennt auch deutlich Bereiche, die ihm Sorgen bereiteten, etwa die steigende Zahl junger Intensivtäter oder die zunehmende Gewalt gegen Einsatzkräfte. Der Minister verweist zudem darauf, dass es sich beim Kriminalitätswachstum um einen bundesweiten Trend handelt. Das stimmt: Die Polizei registrierte bundesweit im vergangenen Jahr so viele Straftaten wie seit 2016 nicht mehr. 

Was sind die Ursachen für das explosive Kriminalitätswachstum?

Als Folge nennen die Sicherheitsbehörden die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die hohe Inflation beziehungsweise die schlechte wirtschaftliche Lage - und die starke Zuwanderung innerhalb eines kurzen Zeitraums. Das führt auch Strobl am Donnerstag an. Die globalen Krisen wirkten sich auf die Statistik aus, sagte er. Es seien einfach zuletzt zu viele Flüchtlinge unkontrolliert ins Land gekommen, ist der CDU-Politiker überzeugt. Und: Geflüchtete würden überproportional viele Straftaten begehen.

Und was sagt die Statistik zur Kriminalität von Ausländern und Asylsuchenden?

48 Prozent der Tatverdächtigen im Südwesten hatten im vergangenen Jahr keinen deutschen Pass - das sind 5 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Aber es leben nun auch deutlich mehr Nicht-Deutsche im Land. Der SPD-Innenpolitiker Sascha Binder betont am Donnerstag: »Baden-Württemberg hat den höchsten Anteil an ausländischen Menschen in ganz Deutschland. Die Kriminalitätsbelastung ist aber die zweitniedrigste in Deutschland.« Laut Statistischem Landesamt lag der Anteil der ausländischen Bevölkerung Ende 2022 bei 17,8 Prozent - knapp ein Jahr später lag er bei 18,5 Prozent. 

Mehr als jeder fünfte nicht-deutsche Verdächtige - die ausländerrechtlichen Verstöße nicht mitgezählt - war Asylbewerber. Bei Straftaten im öffentlichen Raum war im Jahr 2023 jeder siebte Tatverdächtige ein Geflüchteter - die Zahl stieg im vergangenen Jahr um 55 Prozent.  

Was hat Migration mit Kriminalität zu tun?

Schwierige Lebensbedingungen und schlechtere Integrationschancen können Faktoren sein, die anfälliger machen für Kriminalität. Schier die große Zahl an Migranten führe dazu, dass junge Menschen nicht mehr integriert werden könnten, die Sprache nicht mehr lernten, kritisiert Strobl. Dann sei die Gefahr, dass jemand kriminell werde, höher. Traumatische Erfahrungen aus der Flucht oder Kriegsgebieten tragen ihren Teil dazu bei. 

Die vergleichsweise höhere Kriminalität unter Asylbewerbern liegt laut Strobl aber auch daran, dass viele junge Männer unter den Geflüchteten seien und diese in bestimmten Bereichen immer häufiger in der Kriminalitätsstatistik auftauchten. Lebten in Deutschland auf einmal eine Million junge deutsche Männer zusätzlich in Deutschland, steige auch die Kriminalität überproportional, so der Minister. Die Lage sei zu komplex, als dass man irgendwelche monokausalen Schlüsse ziehen könnte, warnt Strobl. Aber man müsse darüber reden. 

»Die Risikofaktoren für Kriminalität umfassen schwierige Lebensbedingungen sowie Gewalterfahrungen - von diesen Faktoren sind Migrantinnen und Migranten besonders häufig betroffen«, betont die Grünen-Abgeordnete Petra Häffner. »In der Debatte darf nicht der Anschein erweckt werden, Migration sei gleichbedeutend mit Kriminalität.«

Der Landesverband der kommunalen Migrantenvertretungen warnte vor einer Stigmatisierung ganzer Gruppen. »Die steigende Kriminalität ist ein Symptom tieferliegender sozialer Missstände, die angegangen werden müssen, um langfristig Kriminalität zu senken«, sagte der Vorsitzende Daniel Setzler. (dpa)